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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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GROSS UND DÜNN. EBEN ERST ERFAHREN. SEI WACHSAM, MIHOS. MENTHU
    Er beobachtete meinen Gesichtsausdruck aufmerksam. Ich war auch aufmerksam. Ich sagte: »Rurick und Plešec?«
    Er nickte. »Offenbar sind sie durch Fadils Netz geschlüpft.« Er nahm den Revolver heraus und hielt ihn locker im Schoß. Der Lauf funkelte im Kuss der sterbenden Sonne.
    »Es sind zwei Kugeln in dieser Trommel. Nach meiner Zählung, Will Henry, müssten es fünf sein. Drei fehlende Kugeln. Zwei fehlende Russen.«
    »Ich hatte keine Wahl, Sir.«
    »Ach, Will Henry«, sagte er. »Will Henry! Warum hast du es mir nicht gesagt?«
    »Ich weiß nicht …«
    »Lass das!«
    »Ich wusste nicht wie …«
    »Lass das!«
    »Ich wollte nicht, dass Sie … enttäuscht von mir sind.«
    »Enttäuscht von dir? Ich verstehe nicht.«
    »Ich hatte Angst, Sie würden mich wieder zurücklassen.«
    »Wieso? Weil du dich gegen zwei seelenlose Unmenschen verteidigt hast, die uns beide umgebracht hätten, ohne mit der Wimper zu zucken?«
    »Nein, Sir«, antwortete ich. »Weil ich sie umgebracht habe, ohne mit der Wimper zu zucken.«
    Er nickte; er verstand.
    »Wollen Sie wissen, wie es sich zugetragen hat?«, fragte ich.
    Er schüttelte den Kopf. »Der Ort mag wechseln, und die Namen mögen andere sein, aber das Verbrechen ist dasselbe, Will Henry.«
    Er scheuerte sich mit der Hand übers bärtige Kinn, hob einen Stock auf, der zu seinen Füßen lag, und begann, in den weichen Untergrund zu zeichnen.
    »Unter demselben Dach geboren«, sagte er gedankenvoll. »Vielleicht ist es ja doch wie das Kainsmal.« Er hob das Gesicht der untergehenden Sonne entgegen und tippte mit dem Ende des Stocks auf die Erde. »Erinnerst du dich noch daran, als du anfänglich bei mir gewohnt hast – wie wir immer einen Eimer neben dem Nekropsietisch stehen hatten für den Fall, dass dir schlecht wurde? Und dir wurde immer schlecht – am Anfang. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann dir von der Arbeit zum letzten Mal schlecht wurde.«
    Er warf den Stock fort; er purzelte das Gefälle hinunter auf die goldene Ebene zu und war entschwunden.
    »Es ist ein dunkles und schmutziges Geschäft, Will Henry. Und du bist auf dem besten Wege.« Er tätschelte mir das Knie, nicht um zu gratulieren, denke ich, sondern um zu trösten. Sein Tonfall war traurig und bitter. »Du bist auf dem besten Wege.«
    * * *
    Awaale kam zurück und berichtete, dass er eine geeignete Stelle gefunden hatte, um die Nacht zu verbringen. Wir schulterten unser Marschgepäck und folgten ihm den schmalen Pfad hoch, einen steilen, gewundenen Korridor, der sich zwischen zwei fast lotrechten Felswänden hindurchschlängelte. Ein grauer, tief hängender Wolkendeckel wirbelte ruhelos über unseren Köpfen, und ein Fluss aus Wind strömte durch den Pass. Nachdem wir etwa hundert Yards durchquert hatten, kamen wir zu einer Spalte in der Felswand, sechs Fuß breit am Boden und ungefähr genauso hoch, nach oben hin enger werdend, ein tiefer Riss im Stein, der nicht wirklich eine Höhle genannt werden konnte, aber er würde einen gewissen Schutz vor den Elementen bieten. Die Schatten im Inneren der Spalte waren unergründlich, und der Doktor spähte besorgt hinein.
    »Es ist sicher«, versicherte Awaale ihm. »Ein oder zwei Skorpione, aber um die habe ich mich gekümmert.«
    Erschöpft warf ich mich auf den Boden und weigerte mich, wieder aufzustehen, obwohl Awaale mich mit etwas zu essen zu ködern versuchte. Ich rollte meinen Regenumhang zusammen, um mir ein Kopfkissen zu machen, und schloss die Augen. Ihre Stimmen schwebten über mir – irgendeine Diskussion darüber, wer die erste Wache übernehmen würde. Draußen schickten die Wolken den Wind herunter, und der Wind blies das Licht aus, und wie ein großer schwarzer Raubvogel stieß die Dunkelheit auf den Pfad herab. Jemand legte sich neben mir hin, und eine warme Hand drückte sich kurz auf meine Stirn – Awaale.
    Ich sank in den allerleichtesten Halbschlaf, und dann schoss Licht in den Raum, und ich setzte mich auf – Awaale auch, und dann standen wir auf.
    »Dhaktar?« , rief Awaale leise. »Sie sagten doch kein Licht!«
    Wir konnten ihn genau vor der Öffnung stehen sehen, in der einen Hand die Laterne und den Revolver in der andern; er blickte forschend in die Dunkelheit.
    »Da draußen ist etwas, auf der anderen Seite dieser Felsen«, sagte er. »Awaale!«
    Er gab dem Somalier ein Zeichen mit dem Revolver. Awaale nahm sein Gewehr und ging nach draußen.

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