Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
Vom Netzwerk:
Diener, der gewissenhafte Schreiber seiner Hände Werk.«
    * * *
    Seine Stunde war gekommen. Die Stunde, wo alles Blut und aller Tod in seinem Kielwasser gerechtfertigt sein würden, das Kontoblatt ausgeglichen, die Schuld zurückgezahlt sein würde. James und Mary, Erasmus und Malachi, John und Muriel, Damien und Thomas und Jacob und Veronica und diejenigen, deren Namen ich vergessen habe, und diejenigen, deren Namen ich nie gekannt habe   … Das Magnificum zu finden würde die Zeit auskaufen, den Traum auskaufen. Es war die Stunde – seine Stunde –, die Stunde, wo Verlangen auf Verzweiflung traf. Ich sah es in dem eisigen, unlöschbaren Feuer in seinen Augen. Was speiste diese höllische Flamme? War es Verlangen, oder war es Verzweiflung?
    Der Regen war weitergezogen, aber die dahinjagenden Wolken blieben; der Tag würde eines vorzeitigen Todes sterben. Drohend ragten die Berge vor uns auf, die gezackten Zähne in Nebel und Schatten gehüllt, und die Erde unter unseren Füßen war zerbrochen und bröcklig, wie die Knochen im Ossuarium des Dakhma. Gewaltige Felsbrocken übersäten den Weg, heruntergeschleudert in vergangenen Zeitaltern von zornigen Göttern, die längst schon tot waren. Tiefe, mit Schatten gefüllte Spalten, manche nur wenige Zoll breit, andere sechs Fuß oder mehr umspannend, schwärmten vom Fuß der Berge aus wie die Tentakel einer riesigen Bestie, die nach uns griff. Der Untergrund hob und senkte sich in erstarrter Wellung, jeder Hügel ein bisschen höher, jedes Tal ein bisschen flacher, und der Wind stieß herab, um den Willen des Monstrumologen auf die Probe zu stellen. Er raste über die Ebene, eine Wand aus Wind, gegendie Warthrop uns ohne Pause drängte. Er schnappte sich den Atem aus unseren Lungen, fesselte unsere Worte an den Boden, spie uns Staub in die Augen, und trotzdem mühte sich der Monstrumologe dagegen, nach vorn gebeugt, um nicht zurückgetrieben zu werden oder gar von den Füßen gerissen zu werden, und bewegte sich wie ein Mensch, der in hüfthohem Wasser watet, jeder Schritt vorwärts ein schwer erkämpfter Sieg.
    Ich versuchte, an seiner Seite zu bleiben, aber nach und nach zermürbte der Wind mich, und ich fiel weiter und weiter zurück. Der Doktor merkte es nicht – oder es war ihm egal – und ging weiter, aber Awaale kam zurück, um mich zu holen, und brüllte Warthrop zu, dass ich eine Pause bräuchte. Der Monstrumologe hörte ihn nicht – oder es war ihm egal.
    »Komm, ich werde dich tragen, walaalo «, überschrie Awaale den Wind.
    Ich schüttelte den Kopf. Ich würde niemandes Last sein.
    * * *
    Wir hielten erst an, als wir den von Felsbrocken übersäten Fuß der Berge erreicht hatten. Wir warfen unser Marschgepäck auf den Boden und brachen an einem Felsvorsprung zusammen, während der Wind durch die Felsen heulte und pfiff und die untergehende Sonne durch die Wolken brach und die Ebene unter uns golden anmalte, ein atemberaubender, unglaublich schöner Anblick.
    Du wirst schwören, dass die Sonne ins Meer gefallen ist, denn jeder Baum auf dieser Insel ist ein goldener Baum und jedes Blatt ein goldenes Blatt, und all die Blätter leuchten mit ihrem ganz eigenen Strahlen, sodass die Insel selbst in der finstersten Nacht wie ein Leuchtturmfeuer zu brennen scheint.
    »Die Nacht bricht an«, sagte Awaale. »Wir müssen irgendeinen Unterschlupf finden.«
    Der Doktor debattierte nicht mit ihm. Vielleicht dachte er gerade, so wie ich es tat, an irislose Augen. Awaale erhob sich,schulterte sein Gewehr und wanderte den Pfad weiter hinauf, bis er zwischen zwei Felsbrocken verschwand, die wie stumme Wächter zu beiden Seiten eines schmalen Passes standen – das Tor zum Versteck des Magnificums .
    »Das ist das Schönste, was ich jemals gesehen habe«, sagte der Monstrumologe, der auf die goldene Ebene hinabblickte. »Und ich habe viele schöne Dinge gesehen. Hast du schon einmal von etwas so Wunderschönem geträumt, Will Henry?«
    Ich sehe sie, Vater! Die Insel der Glückseligkeit! Sie brennt wie die Sonne im schwarzen Wasser.
    »Nein, Sir.«
    Er sah mich an, und ich erwiderte seinen Blick, und sein Gesicht strahlte im goldenen Licht.
    »Habe ich dir eigentlich das Telegramm gezeigt, das ich bekommen habe, bevor wir Aden verließen? Ich glaube nicht.« Er zog das verknitterte Blatt aus der Tasche und drückte es mir in die Hand.
    SCHRECKLICHE NEUIGKEITEN. DUMMKÖPFE HABEN ES VERMASSELT. HABEN NACH ZWEI KAHLKÖPFIGEN GESUCHT, EINER KURZ UND DICK, DER ANDERE

Weitere Kostenlose Bücher