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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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Oberfläche des Revolvers war kühl unter meinen Fingern. Wo blieb die Dämmerung? Die Sonne würde bald aufgehen; sie musste einfach.
    »Mir ist kalt«, wimmerte er. »Kannst du nicht wenigstens ein paar Decken über mich legen?«
    Ich nagte an meiner Unterlippe. Der Mann zitterte unkontrolliert, die Zähne klapperten ihm buchstäblich im Kopf. Was sollte ich tun? Der Doktor hatte mir nicht verboten, ihn zuzudecken, aber ich war mir sicher, hätte er gewollt, dass er zugedeckt wäre, hätte er es selbst gemacht. Es würde sein Leiden ohne Frage lindern, wenn auch nur um ein Weniges – und war das nicht meine Aufgabe, meine simple menschliche Pflicht?
    Ich legte den Revolver hin und nahm die Tagesdecke aus dem Wandschrank. Als ich mich hinabbeugte, um sie über seine zitternde Gestalt zu breiten, erhaschte ich einen Hauch eines vertrauten Geruchs, einen, den ich schon viele Male vorher gerochen hatte – den widerlich süßen Geruch faulenden Fleisches.
    Ich hob den Kopf, um die Augen auf die Höhe seiner rechten Hand zu bringen, und sah, dass die Haut von einem rosigen Rot zu einem hellen Grau übergegangen war. Fast wirkte sie durchsichtig. Ich bildete mir ein, ich könnte direkt bis zu seinen Knochen sehen.
    Die Hand, die es berührt hatte, das Ding, das Warthrop »wunderschön« genannt hatte, fing an, zu verwesen.
    »Ich sterbe.«
    Ich schluckte schwer und sagte nichts.
    » Ausgequetscht , so fühle ich mich. Als ob eine riesige Faust mich ausquetschen würde, jeden Zoll, bis auf die Knochen.«
    »Der Doktor wird alles tun, was in seiner Macht steht«, versprach ich ihm.
    »Ich will nicht sterben. Bitte. Bitte lass mich nicht sterben!«
    Seine verfaulenden Finger zerkrallten nutzlos die leere Luft.

Fünf
    »Das eine Heilmittel«

    Er driftete in einen Dämmerzustand – nicht wach, nicht richtig schlafend.
    Die Morgendämmerung kam. Der Doktor kam nicht mit ihr. Er erschien erst eine Stunde später. Ich fuhr in meinem Sessel zusammen, als die Tür sich öffnete; ich war erschöpft, mit den Nerven am Ende.
    »Warum hast du ihn zugedeckt?«, wollte er wissen.
    »Ich habe ihn nicht berührt. Ihm war kalt«, fügte ich zu meiner Verteidigung hinzu.
    Warthrop zog die Tagesdecke herunter und ließ sie auf den Boden fallen.
    »Die gehörte meiner Mutter. Jetzt werde ich sie verbrennen müssen.«
    »Es tut mir leid, Sir.«
    Er tat meine Entschuldigung mit einer Handbewegung ab. »Vorsichtshalber – die präzise Toxizität von Pwdre ser ist unbekannt. Seit wann ist er weggetreten?«
    »Seit ungefähr anderthalb Stunden.«
    » ›Ungefähr‹ ? Hast du denn keine Aufzeichnungen geführt?«
    »Ich – ich hatte nichts zum Schreiben, Sir.«
    »Will Henry, ich dachte, ich hätte dir die Dringlichkeit dieses Falles eingeprägt, eine der wichtigsten – wenn nicht die wichtigste – Entdeckungen in der Geschichte der Biologie – anomal oder sonstig. Wir müssen peinlich genau sein. Wir dürfen nicht zulassen, dass unsere persönlichen Neigungen oder Versagenunsere Beobachtungen gefährden … Wann hat sich diese graue Verfärbung zu manifestieren begonnen?«
    »Kurz nachdem Sie nach unten gingen«, antwortete ich mit vor Scham brennendem Gesicht. Ich hatte mir den Zeitpunkt nicht notiert. »Es fing mit seiner Hand an …«
    »Welcher Hand?«
    »Der rechten Hand, Sir.«
    »Hm. Leuchtet ein. Dann breitet es sich also schnell aus.«
    Das hatte es, erzählte ich ihm. Eine schieferfarbene Flut, die die Hände überschwemmte, dann die Arme, dann den Rumpf, die Leistengegend, die Beine, die Füße. Kendalls Gesicht war eine papierdünne graue Maske, die sich wie das Fell einer Trommel straff über den vorstehenden Knochen spannte.
    »Was hat er berichtet?«
    »Er hat gesagt, er wird Sie festnehmen und hängen lassen.«
    Warthrop seufzte laut. »Über seine Symptome, Will Henry. Seine Symptome!«
    Er stand übers Bett gebeugt da und hörte durch sein Stethoskop Kendalls Herz ab.
    »Er hat gesagt, ihm sei kalt und dass es sich anfühle, als würde eine riesige Faust ihn ausquetschen.«
    Der Doktor hieß mich die Lampe herbringen. Mit großer Vorsicht entfernte er das Tuch, das Kendalls Augen bedeckte, und zog ein Augenlid hoch. Der Augapfel zitterte in seiner Höhle, als würde ihn der heftige Angriff des Lichts wahnsinnig machen.
    »Die Pupille ist extrem erweitert. Die Iris ist komplett verschwunden«, stellte er fest.
    Er legte Kendall die behandschuhten Finger auf die Wange und übte leichten Druck aus. Die Haut riss

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