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Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes

Titel: Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rick Yancey
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kindisches Wesen, legte ich ihm verlegen die Hand auf die Schulter.
    »Ich mache mir ja auch Sorgen, Will«, gestand er. »Die Tage, die vor ihm liegen, werden gefährlich sein und dunkel. Denke daran, wenn dich die Flut des Selbstmitleids unter sich zu begraben droht.«
    »Das weiß ich«, erwiderte ich. »Deshalb sollte ich ja bei ihm sein. Er braucht mich nicht, um zu kochen oder sauber zu machen oder Diktate aufzunehmen oder mich um sein Pferd zu kümmern oder irgendetwas dergleichen. Diese Dinge kann jeder erledigen, Dr. von Helrung. Er braucht mich für die dunklen Orte.«
    * * *
    Am Morgen des siebten Tages traf ein Telegramm aus London ein:
    WOHLBEHALTEN ANGEKOMMEN.
WERDE BENACHRICHTIGEN. PXW.
    »Vier Wörter?«, stöhnte von Helrung. »Das ist alles, was er zu sagen hat?«
    »Ein Überseetelegramm kostet einen Dollar pro Wort«, klärte ich ihn auf. »Der Doktor ist sehr knauserig.«
    Von Helrung, der nicht annähernd so reich wie mein Herr oder so pfennigfuchserisch war, schickte diese Antwort zurück:
    JEDEN FUND SOFORT MELDEN.
HAST DU DICH MIT WALKER GETROFFEN?
WARTE BEGIERIG AUF DEINE ANTWORT.
    Diese Antwort ließ lange – sehr lange – auf sich warten.
    * * *
    Nachdem zwei Wochen ohne erkennbare Verbesserung meines Zustands vergangen waren, ließ von Helrung seinen Privatarzt, einen Dr. John Seward, kommen, um nach mir zu sehen. Eine Stunde lang wurde ich gestoßen und geschubst, abgeklopft und gekniffen. Ich hatte kein Fieber. Herz und Lunge hörten sich gut an. Die Augen waren klar.
    »Nun, er hat Untergewicht, aber er ist klein für sein Alter«, sagte Seward zu von Helrung. »Er könnte auch einen guten Zahnarzt gebrauchen. Ich habe schon sauberere Zähne bei Ziegen gesehen.«
    »Ich mache mir Sorgen, John. Seit er hierhergekommen ist, hat er nur wenig geschlafen und noch weniger gegessen.«
    »Kann nicht schlafen, hm? Ich werde etwas zusammenmixen, das ihm helfen wird.« Er blickte auf meine linke Hand. »Was ist mit deinem Finger passiert?«
    »Doktor Pellinore Warthrop hat ihn mir mit einem Fleischermesser abgehackt«, antwortete ich.
    »Wirklich? Und weshalb sollte er das tun?«
    »Das Risiko war inakzeptabel.«
    »Brand?«
    » Pwdre ser .«
    Verwirrt sah Seward von Helrung an, der nervös lachte und mit der Hand eine vage Kreisbewegung machte.
    »Ach, die Kinder, ja ? So stark, ihre Fantasie!«
    »Er hat ihn abgehackt und in ein Einmachglas getan«, sagte ich, während von Helrung, der ein wenig hinter Seward stand, heftig den Kopf schüttelte.
    »Tatsächlich? Und warum hat er das gemacht?«
    »Er will ihn studieren.«
    »Hätte er das nicht können, als er noch fest an deiner Hand war?«
    »Mein Vater war ein Bauer«, verkündete von Helrung laut. »Und eines Tages wurde eine Kuh krank; sie legte sich hin, und kein Zureden konnte sie zum Aufstehen bewegen. ›Da kann man nichts mehr tun, Abram‹, sagte mein Vater zu mir. ›Wenn ein Tier so aufgibt, dann hat es den Lebenswillen verloren.‹«
    »Ist es das?«, fragte Seward mich. »Hast du deinen Lebenswillen verloren?«
    »Ich lebe hier. Ich will nicht hier sein. Ist das dasselbe?«
    »Es könnte sich um Melancholie handeln«, mutmaßte der junge Doktor. »Depression. Das würde die Appetit- und Schlaflosigkeit erklären.« Er wandte sich an mich. »Spielst du manchmal mit dem Gedanken, dich umzubringen?«
    »Nein. Andere Menschen manchmal.«
    »Wirklich?«
    »Nein, nicht wirklich«, warf von Helrung ein. Nein!
    »Das habe ich auch schon.«
    »Du hast …«
    »Andere Menschen umgebracht. Ich habe einen Mann namens John Chanler getötet. Er war der beste Freund des Doktors.«
    »Was du nicht sagst!«
    »Ich glaube nicht, dass er das getan hat!«, blaffte von Helrung in einem Tonfall, der kurz vor dem Schreien war. »Er hat schlimme Träume. Sehr schlimme Träume. Entsetzliche Albträume. Ach je! Er redet über die Träume. Nicht wahr, Will?«
    Ich senkte den Blick und sagte nichts.
    »Nun, ich kann keine körperlichen Gebrechen bei ihm feststellen, Abram. Vielleicht möchten Sie einen Nervenarzt konsultieren.«
    »Offen gesagt habe ich daran gedacht, einen Experten auf dem Gebiet hinzuzuziehen.«
    * * *
    Der »Experte« traf am folgenden Nachmittag im von helrung’schen Haus in der Fifth Avenue ein – ein leises Klopfen an der Tür, und dann streckte von Helrung seine weiße Mähne ins Zimmer und sagte über die Schulter zu jemandem im Flur: » Gut , er ist vorzeigbar.«
    Als Nächstes hörte ich eine Frauenstimme. »Na, das will

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