Der Monstrumologe Und Die Insel Des Blutes
weiß das.
›Trotzdem kann ich nicht glauben, dass sie einfach dasitzen und zusehen könnte, wie ich aufgefressen werde‹, denkt unser armer Galan. ›Also zeigt sie auf die Tür, die ihr Herz töten, aber mir das Leben retten wird.‹ Er macht Anstalten, den Knauf der rechten Tür zu drehen.
›Aber halt!‹, denkt er. ›Was ist, wenn sie sich Sorgen macht, dass ich ihr nicht vertraue? Das würde heißen, dass sie auf den Tiger zeigt, weil sie denkt, dass ich dann die andere Tür wählen und am Leben bleiben werde. Ich muss die Tür links aussuchen!‹
Also geht er zur linken Tür. Aber gerade, als er sie öffnen will, denkt er: ›Aber halt! Ich vertraue ihr ja. Ihr Herz könnte den Anblick meines zerfleischten Leichnams, der von einem wilden Tier durch die Arena gezerrt wird – Eingeweide, die durch die Sägespäne schleifen, überall Blut, eine Sauerei –, nicht ertragen. Die Lady muss hinter der rechten Tür sein! Es sei denn … Es sei denn, ich sollte ihr nicht vertrauen. Die Liebe mag ja langmütig sein, aber ein ganzes Leben lang ist verdammt lang. Der Tiger ist hinter der rechten Tür. Ich sollte die linke aufmachen!‹
Zwei Türen. Hinter der einen, die Lady. Hinter der andern, der Tiger. Welche sollte er wählen?«
Torrance verstummte. Arkwright, der zu diesem Zeitpunkt möglicherweise zu der Überzeugung gelangt war, sich in der Gegenwart eines Geisteskranken zu befinden, sagte zunächstnichts, und dann, als er die Spannung nicht länger ertragen konnte, platzte er heraus: »Also gut, welche ist es? Welche Tür hat er gewählt?«
»Ich weiß es nicht! Der Scheißkerl lässt es einfach so stehen! Er kann zweieinhalb Hotdogs in einer Minute verputzen, aber er kann keine verdammte Geschichte zu Ende bringen! Wie auch immer, es ist die falsche Frage. Die korrekte Frage lautet, was wirst du wählen – die Lady oder den Tiger?«
Torrance nickte mir zu. Ich ging auf den Flur und kehrte mit dem Rollwagen zurück; die Räder waren höchstwahrscheinlich seit seinem Bau nicht mehr geölt worden; sie knarrten und kreischten, als ich ihn in den kleinen Raum schob. Arkwrights Blicke huschten zu dem Karren und dem großen Einmachglas, das darauf stand – und huschten dann weg. Seine Schultern traten hervor und entspannten sich; sein rechtes Bein zuckte.
»Du weißt, was das ist«, sagte Torrance mit einem Fingerschnippen zu dem Ding hin, das in der bernsteinfarbenen Konservierungslösung schwebte. Arkwright gab keine Antwort. Auf seinem Gesicht glänzte der Schweiß. Ein Nerv unter seinem rechten Auge tanzte.
»Wo habe ich denn nur die Handschuhe hingetan?«, fragte sich Torrance. »Ah, da auf dem Tisch sind sie ja! Du auch, Will. Zieh sie an.« Er nahm das Skalpell vom Wagen und schnitt durch den Wachsring um den Deckel. »Halt das mal bitte einen Moment, Will!«, sagte er und reichte mir das Skalpell. Er schraubte den Deckel auf. Das Geräusch war sehr laut in dem abgeschlossenen Raum.
»Na schön«, sagte Arkwright laut. »Na schön! Das wird allmählich wirklich ermüdend. Ich verlange, unverzüglich mit Dr. von Helrung zu sprechen!«
Torrance legte den Deckel beiseite und griff ins Innere, um den Nidus herauszuholen, wobei er ein wenig das Gesicht verzog, nicht aus Angst, glaube ich, sondern weil aufgrund seiner mächtigen Unterarme nicht mehr viel Platz im Inneren des Glases zum Greifen vorhanden war und das Gebilde ziemlich festsaß.Vorsichtig setzte er das Nest aus verflochtenen menschlichen Überresten neben dem Glas ab, wo es nass im Lampenlicht glitzerte.
»Spatel, Will«, murmelte Torrance. Ich reichte ihm das Instrument mit der flachen Klinge, mit dessen Hilfe er dem Nidus eine zehncentstückgroße Menge seines Klebematerials, dem zähen Sputum des Typhoeus magnificum , abluchste.
»Was geschieht hier?«, rief Arkwright. »Was machen Sie da drüben?«
»Du weißt, was ich mache.«
»Es ist Ihnen nicht klar, Sir, aber Ihnen ist ein schwerwiegender Fehler unterlaufen. Ein schwerwiegender Fehler!«
»Mir? Mir ist ein schwerwiegender Fehler unterlaufen?« Torrance hielt den Spatel hoch.
»Meinen Sie, das macht mir Angst?« Arkwright lachte verächtlich. »Das machen Sie nicht! Das dürfen Sie nicht machen!«
»Ich darf es nicht machen?« Torrance schien ernsthaft verwundert.
»Nein, Sie dürfen nicht – weil ich Ihnen nämlich nichts zu sagen habe. Ich werde Ihnen nichts sagen, außer Sie lassen mich frei. Ha! Für welche werden Sie sich jetzt entscheiden? Wenn Sie mir das
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