Der Montagsmann: Roman (German Edition)
jagte ihr einen Schauer der Angst über den Rücken. Angst … Das war etwas, woran sie sich in den letzten Tagen gewöhnt hatte. Der Arzt hatte ihr gesagt, es würde vielleicht alles wiederkommen, und daran klammerte sie sich. An dieses vielleicht .
»Du erinnerst dich wohl immer noch an nichts, oder?«
»Doch. Ich weiß das meiste wieder.«
Er machte einen erleichterten Eindruck, und es tat ihr beinahe Leid, dass sie ihre Auskunft sofort revidieren musste. Sie zeigte auf den Fernseher, der oben an der Wand gegenüber vom Bett angebracht war. »Ich schaue den ganzen Tag fern, so ziemlich alles, was sie bringen. Politik, Sport, Filme – jede Menge Dinge, die ich kenne und worüber ich Bescheid weiß. Es ist im Grunde alles wieder da. Alles, außer meinem persönlichen Leben.«
»Wie ist das möglich?«, fragte er mit gerunzelter Stirn.
»Keine Ahnung.« Sie zuckte die Achseln. »Der Arzt hat gesagt, dass bei Amnesien dieser Art das autobiografische Gedächtnis besonders betroffen ist. Dass es aber wieder in Ordnung kommen kann.« Sie holte Luft. »Meinst du, du könntest mir vielleicht einen kleinen Gefallen tun?«
»Welchen?«
»Na ja, sie haben mir hier gesagt, ich wohne bei dir. Wäre es eventuell möglich, wenn du mir eines von meinen Nachthemden und ein bisschen Schminkzeug mitbringst?« Sie schaute zum Nachbarbett hinüber, in dem ihre Zimmernachbarin mit offenem Mund vor sich hin schnarchte. »Sie hat mir schon was von ihren Sachen angeboten, aber sie hat Größe vierundvierzig.«
»Ich schaue, ob ich was finde. Wenn nicht, besorge ich was.« Dann zögerte er. »Ich hätte da noch eine kleine Frage.«
»Frag nur.«
»Wäre es für dich sehr schlimm, wenn wir gar nicht verlobt wären?«
Sie schluckte und merkte, dass sie absurderweise zugleich Erleichterung und Panik verspürte. Erleichterung, weil dieser Fremde kein wie auch immer geartetes Recht auf sie geltend machen konnte, und Panik, weil mit ihm auch der letzte Bezugspunkt aus ihrem Leben verschwinden würde.
»Ich weiß nicht«, sagte sie wahrheitsgemäß. »Haben wir uns denn gestritten?«
»Irgendwie schon«, sagte er.
»Wollten wir uns trennen?«
»Also … Na ja, irgendwie schon.« Mehr als diese Wiederholung brachte er nicht heraus. Sie sah fasziniert, wie seine Ohren rosa anliefen. Er wirkte so verzweifelt, dass sie am liebsten die Hand ausgestreckt und ihm über den Kopf gestrichen hätte. Zu ihrer eigenen Überraschung gab sie dem Impuls nach und tat es. Er fuhr ein wenig zusammen, hielt aber still. Seine dunklen Locken fühlten sich weich und elastisch unter ihren Fingerspitzen an, und sie konnte der Versuchung nicht widerstehen, kurz seine Ohren zu berühren.
Er drehte den Kopf zur Seite, und sie riss die Hand weg, als hätte sie sich verbrannt. »Entschuldige. Wenn wir uns trennen wollten, habe ich kein Problem damit. Eigentlich ist es sogar ziemlich praktisch, denn ich kenne dich ja überhaupt nicht.« Sie dachte nach. »Du sagst mir einfach, zu wem ich gehen kann. Bestimmt habe ich eine Familie. Eltern, Geschwister. Oder Freunde.« Sie würde sich erinnern, das hatte sie sich geschworen. Einen Verlobten konnte man vielleicht vergessen, aber nicht die eigenen Eltern. Der Arzt hatte ihr gesagt, dass das sehr wohl möglich war, aber sie glaubte ihm nicht.
Sie würde sich ihr früheres Leben wiederholen.
D er Installateur wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Tut mir echt Leid.«
»Oh, Scheiße«, sagte Harry.
»Da sprichst du ein wahres Wort gelassen aus«, meinte Natascha. Sie zerrte sich einen Zipfel ihrer Bluse aus dem Rockbund und drückte ihn sich vor die Nase. »Mann, das stinkt vielleicht!«
Der Installateur stieg über die zäh fließende Pfütze, die rund um das Abflussrohr aus den geborstenen Fliesen quoll. »Ich habe mein Bestes gegeben, aber was nicht geht, geht nicht.«
»Wenn Ihr Bestes ein See von Scheiße ist, wirft das kein gutes Licht auf Ihren Berufsstand«, sagte Natascha.
Er grinste sie an und musterte bewundernd ihre Rubensfigur und ihre knallroten Haare. »Das bringt mein Job eben manchmal so mit sich.«
»Ich wette, wenn Sie abends sauber aus der Dusche steigen, merkt Ihre Frau davon kein bisschen.«
»Ach, ich bin seit fünf Jahren geschieden.«
»Tatsächlich? Ein Mann wie Sie? Kaum zu glauben! Welche Frau kann so blöd sein?«
Fabio stand in der Eingangstür der Restauranttoilette, die Hände in den Hosentaschen versenkt und dunkle Gedanken im Kopf. Er wünschte sich, diese Pfütze da
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