Der Montagsmann: Roman (German Edition)
Das, was sie hatten, war nichts weiter als gestohlene Zeit. Zeit, die er sich gestohlen hatte.
Raphaela hatte den Tisch erreicht, an dem er zusammen mit Harry und Natascha saß. Sie blieb dicht neben ihm stehen. »Hallo, Leute«, sagte sie mit ihrer rauchigen Stimme.
Fabio schaute seitlich an ihr vorbei zu Giulio, der auf seinem Stuhl hin und her rutschte und aussah, als würde er im nächsten Moment aufspringen und angerannt kommen.
Isabel saß immer noch konsterniert am Klavier, aber noch während Fabio versuchte, ihren Gesichtsausdruck näher zu ergründen, stand sie langsam auf und schaute ihn an, als hätte er ihr ein Messer in den Rücken gestoßen.
Er stand ebenfalls auf, um zu ihr hinüberzugehen, doch Raphaela trat ihm in den Weg.
»Hi«, sagte sie.
»Was hast du eben zu ihr gesagt?«, fragte er.
»Zu deiner kleinen … Bügelhilfe? Dass sie hübsch Klavier spielt. Wenn sie ein bisschen übt, könnte sie bestimmt auf der einen oder anderen Weihnachtsfeier auftreten. Obwohl sie das natürlich nicht nötig hat, bei all ihrem Geld.«
Raphaela warf ihm aus den Augenwinkeln einen spöttischen Blick zu, während sie so tat, als sehe sie sich in dem Lokal um. »Netter Laden hier. Es gefällt sogar Giulio, und dabei steht der sonst mehr auf Discos.«
»Was genau hast du zu ihr gesagt?«, herrschte Fabio sie an. Beklommen sah er, wie Isabel sich zwischen den Tischen hindurchbewegte und näher kam. Einmal blieb sie kurz stehen, weil jemand ihr eine Frage stellte. Sie antwortete, ohne ihre Blicke von Fabio abzuwenden. Ihrem Gesichtsausdruck zufolge hätte eben die Welt untergegangen sein können.
Raphaela verzog beleidigt das Gesicht. »Na, die Wahrheit natürlich! Dass du sie bloß als billige Hilfskraft ausnützt! Dass sie dir in dem ganzen Ausbau- und Renovierungsstress im Schwarzen Lamm als praktische Zusatzputzfrau gerade recht kam! Und vor allem habe ich ihr gesagt, dass sie vorher überhaupt nichts mit dir zu tun hatte und dass diese so genannte Verlobung nichts weiter war als eine dreiste Lüge!« Sie stach mit dem Finger in seine Brust. »Ich habe nämlich zufällig mitgekriegt, was du zu dieser rothaarigen Ziege im Schwarzen Lamm gesagt hast. Ich stand vor der Küchentür und überlegte, ob ich reingehe oder mir noch von draußen eine Weile anhöre, worüber deine Angestellten streiten, als ich zufällig mit halbem Ohr mitkriegte, was du mit dieser Kundin im Vestibül zu besprechen hattest.«
Isabel war hinter ihr stehen geblieben. »Stimmt es, was sie sagt?«, fragte sie. Ihre Stimme hörte sich anders an als sonst, ganz klein und zerbrochen. »Dass wir … dass wir überhaupt nicht zusammen waren? Dass du nur die Situation ausgenutzt hast?«
Fabio machte gar nicht erst den Versuch, sich herauszuwinden. Natürlich hätte er alles auf Giulio schieben können. Oder auf die Umstände. Oder er hätte sagen können, dass er es nur getan hatte, weil er sie liebte. Vielleicht hätte er auch sagen können, dass es eine Mischung aus alledem gewesen war, die ihn dazu verleitet hatte, sich in diese hirnrissige Lage zu manövrieren – schließlich wäre das sogar die reine Wahrheit gewesen. Die ihm natürlich kein Mensch geglaubt hätte, am allerwenigsten Isabel selbst. Na gut, vielleicht noch Natascha und Harry. Schließlich waren sie von Anfang an dabei gewesen und hatten alles ziemlich genau mitgekriegt. Doch was hatten die in diesem Moment schon zu melden?
»Verschwinde«, sagte Fabio.
Im nächsten Augenblick erkannte er bestürzt, dass Isabel diese an Raphaela gerichtete Bemerkung auf sich bezog. Mit einem entsetzten Ausdruck in den Augen wandte sie sich zum Gehen. Geistesgegenwärtig trat er einen Schritt vor und fasste sie beim Arm. »Nicht du!« Er warf Raphaela einen drohenden Blick zu, den sie mit zusammengekniffenen Augen erwiderte.
»Ich geh schon. Aber ich komme wieder.« Brüsk drehte sie sich um und marschierte zu Giulio und Nero zurück an den Tisch. Mit theatralischer Geste ließ sie sich auf den Stuhl fallen und fing gestikulierend an zu reden. Fabio sah, wie Giulios und Neros Mienen vor Ungläubigkeit erstarrten und wie dann beide auf Kommando die Hände unter ihre Sakkos schoben. Giulio sagte irgendwas, und Nero stand langsam auf.
»Ich glaube, du gehst jetzt besser«, sagte Natascha. »Sieh zu, dass du Land gewinnst. Ich halte ihn auf.«
Fabio brauchte keine zweite Aufforderung. Isabels Oberarm immer noch fest im Griff, strebte er in Richtung Ausgang.
»He, was hast du vor?«,
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