Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
kurzen Berührung der Peitsche am Hinterteil des Pferdes, indem sie ihr Körpergewicht fast unmerklich von einer Seite auf die andere verlagert, oder von vorn nach hinten und kurzem Rucken am Zügel. Das Pferd kann fast alles. Es tritt von einem Bein auf das andere, es trabt auf der Stelle, es macht Pirouetten und Passaden und Changements. Die Galoppwechsel sind unbeschreiblich. Es geht zuerst im Trab die Längsseite entlang, dann in kurzem, straffem Arbeitsgalopp, und geht plötzlich über in vollen Galopp, es hat viel Schaum vorm Maul. Die Sägespäne fliegen um die blanken Hufe, schon bald ist es schweißnaß und leuchtet wie poliertes Kupfer. Ja, denkt Charlo über das Mädchen, du bist gut. Du führst den leichten Zügel, du hast guten Kontakt, aber du reitest nicht das ganze Pferd, denkt er, du holst das Hinterteil nicht mit. Plötzlich ändert sie den Kurs und kommt auf ihn zu. Ihr Blick ist ganz und gar furchtlos.
»Sind Sie das, der Crazy kaufen will?«
Sie hat ein rundes hübsches Gesicht unter dem schwarzen Helm. Lederstiefel mit langen Sporen, schwarze elegante Lederhandschuhe.
»Das möchtest du vielleicht nicht? Ihn verkaufen?«
Er sieht sie an, nervös. Warum sollte sie sich von diesem Prachtexemplar von Pferd trennen wollen? Sie zuckt gleichgültig mit den Schultern. Das Pferd hat den Kopf gesenkt, es reibt sich an den Beinen.
»Wenn ich ein anderes bekomme, dann ist es mir egal«, sagt sie geradeheraus. »Ich habe schon häufiger das Pferd gewechselt. Ich wünsche mir einen Araber, die sind leichter.«
Sie starrt ihn an, während sie das sagt, sie starrt seine Beine und Hände an, und sie sieht ihm mit kurzen neugierigen Blicken in die Augen. Sie ist eine von diesen lebhaften, kessen und ganz offensichtlich furchtlosen Reiterinnen.
»Wollen Sie Dressur reiten?« fragt sie. Und er denkt, ich sehe ja auch nicht aus wie ein Reiter, kein Wunder, daß sie fragt.
Ehe er antworten kann, fügt sie hinzu: »Oder wollen Sie springen? Er springt gut. Ein Meter dreißig, er reagiert sehr schnell auf den Zügel. Er springt weit, wenn Sie einen Stutzen aufstellen, nimmt er den mit einer Drehung.«
»Nein«, antwortet Charlo schließlich und sieht dabei unentwegt das Pferd an.
»Meine Knochen sind so brüchig wie Brennholz, ich sollte wohl auf festem Boden bleiben.«
Sie öffnet den Kinnriemen ihres Helms.
»Sie würden doch auch kein Auto kaufen, ohne eine Probefahrt zu machen«, zieht sie ihn auf.
Er lächelt schüchtern, schüttelt den Kopf, fühlt sich ein wenig verlegen. Er hat schon lange auf keinem Pferd mehr gesessen, trotzdem fühlt er sich versucht.
»Ich bin nicht richtig dafür angezogen«, sagt er zu seiner Verteidigung, er kommt sich diesem jungen Mädchen gegenüber unendlich unbeholfen vor, er ist ein erwachsener, klobiger Mann mit Bauch und wenig Haaren. In einer alten, unförmigen Daunenjacke.
Entschlossen läßt sie sich vom Pferd gleiten und reicht ihm die Zügel. Charlo streift seine Jacke ab. Zögert einen Moment lang. Worauf läßt er sich hier denn bloß ein, wie soll das enden? In den Sägespänen vielleicht, mit dem Kopf zuerst. Mit gebrochenem Genick. Oder gebrochenen Rippen.
»Brauchen Sie die Peitsche?« fragt sie unschuldig. Charlo schüttelt den Kopf.
»Ich lasse ihn in ruhigem Trab laufen, das muß reichen.«
»Jetzt ist er schön warm«, sagt sie, »dann geht er leicht. Am besten links rum«, fügt sie hinzu, »falls das eine Rolle spielt.« Ihr Blick ist gebieterisch. Sie fühlt sich wohl in ihrer Haut, sie will spielen.
Charlo schluckt schwer. Er setzt den Fuß in den Steigbügel, nimmt den Zügel in die linke Hand und packt mit der rechten den Sattel. In Gedanken zählt er bis drei, danach stößt er sich ab und schwingt sich hinauf.
»Ich fürchte, jetzt kriegt er einen Schock«, sagt Charlo. »Ich wiege bestimmt doppelt soviel wie du.«
»Das ist doch nichts für Crazy«, sagt sie lächelnd. »Na los, Sie werden schon sehen.«
Sie amüsiert sich wie das Kind, das sie ja auch ist. Er läßt das Pferd im Schritt gehen, versucht, sich gerade zu setzen, versucht, sich zu entspannen. Das Pferd hat ausladende Bewegungen, er schwankt hin und her, der Pferdekörper ist warm zwischen seinen Oberschenkeln. Er reitet eine Runde im Schritt, beugt sich ein wenig vor und drückt mit den Fersen zu. Sofort fällt das Pferd in einen leichten feinen Trab. Charlo wird es warm, seine Wangen glühen. Er trabt drei Runden und bleibt dann vor der Kleinen stehen.
»Und dann noch
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