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Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Titel: Der Mord an Harriet Krohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
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fast erwachsen, denkt er, und sie hat doch auch ihre Ansprüche.
    »Ich habe Geld unterschlagen«, sagt er endlich. »Eine kleinere Summe, aber es kam heraus.«
    Julie wirkt nicht überrascht. Nur sehr ernst.
    »Aber ich hatte Glück«, sagt Charlo dann und schneidet Weißbrot. »Ich bin nie angezeigt worden. Aber ich mußte noch am selben Tag gehen. Das war demütigend«, fügt er hinzu. »Aber ich hatte doch schon soviel Stolz verloren. Für Mama war es schlimmer. Ich dachte, es würde ihr Tod sein.«
    »Das war es ja auch«, sagt Julie kurz. Sie sieht ihn an, eindringlich.
    Charlo läßt das Messer los und schluckt.
    »Mama ist an Leukämie gestorben«, sagt er. »Daran war nichts zu machen.«
    »Verzeihung.« Sie starrt den Boden an, hat die Arme verschränkt.
    »Ich habe nicht viel, worauf ich stolz sein kann«, sagt Charlo und nimmt zwei Teller aus dem Schrank. »Aber auf dich bin ich stolz. Du hast das Recht, zu fragen und zu bohren. Ich werde antworten, so gut ich kann.«
    Er öffnet den Backofen, um nach der Lasagne zu sehen. Die ist schon goldbraun.
    »Du bist das einzige, wozu ich in meinem Leben stehen kann. Daß ich erbärmlicher Tropf eine Tochter wie dich bekommen habe.«
    Sie lächelt wieder ihr verlegenes Lächeln, und er sagt, hilf mir jetzt. Du kannst den Tisch decken. Das Essen ist gleich fertig.
    Sie essen schweigend die glühendheiße Lasagne. Julie trinkt Cola und Charlo trinkt Wasser. Er wird Julie nach Hause fahren, und mit Promille fährt er nicht. Er will überhaupt keinerlei Verbrechen mehr begehen. Sein ganzes Leben lang nicht mehr. Dieser Entschluß tut ihm gut, er kommt ihm vor wie eine Art Sühne. Danach spülen sie zusammen. Stehen nebeneinander da. Charlo genießt die Stille. Er nimmt Schokolade aus einem Schrank, bricht sie in Stücke, legt sie auf einen Teller. Sie setzen sich und schauen dem Schnee beim Rieseln zu. Julie greift zur Zeitung, fängt an, darin zu blättern. Und Charlo geht auf, daß sie natürlich alles über den Mord in Hamsund gelesen hat. Sie hat sich Gedanken gemacht. Er verspürt eine plötzliche Neugier. Was wird sie für ein Gesicht machen, wenn er den Fall erwähnt? Ganz zufällig, einfach nur in einem Nebensatz. Hast du von diesem Mord in Hamsund gehört? Er beißt die Zähne zusammen. Halt den Mund! sagt seine innere Stimme. Der Mord sitzt wie ein großer Druck in ihm, und dieser Druck steigt hoch in die Brust und bis in den Mund, wo seine Zunge liegt und allerlei Wörter formen kann. Julie blättert weiter. Charlo sieht sie an, sie hat eine so große Ähnlichkeit mit Inga Lill, hat aber viel weichere Züge. Trotzdem hat sie dieses Scharfsinnige, das auch ihre Mutter hatte, ein Bedürfnis, den Dingen auf den Grund zu kommen. Plötzlich schaut sie auf und sieht ihn an.
    »Hast du das hier gelesen?« fragt sie und hebt die Zeitung hoch.
    »Dieser Polizist, der für den Hamsundfall zuständig ist, hat in seiner ganzen Karriere nicht einen einzigen unaufgeklärten Mord. Und er ist über Fünfzig. Und weißt du, wie er heißt? Sejer, das ist dänisch für Sieg. Witzig, was?«
    Charlo wird weiß um den Mund. Er hat diesen Artikel nicht gelesen und begreift nicht, wie er den übersehen konnte.
    »Ach was?« sagt er in fragendem Tonfall. Sie starrt wieder in die Zeitung, und er ist froh, daß sie sein Gesicht nicht sehen kann, denn das ist jetzt steif wie Pappmaché.
    »Nein«, sagt sie. »Das ist doch witzig. Wenn die Täter die Zeitung lesen. Stell dir vor, wie sie in Panik geraten. Nicht einen einzigen unaufgeklärten Fall!«
    Charlo sinkt in seinem Sessel in sich zusammen, sucht nach Worten, aber die kleben in seinem Mund zusammen. Plötzlich blickt sie zu ihm auf. Nimmt ein Stück Schokolade, kaut mit kräftigen Bissen.
    »Du siehst fertig aus«, neckt sie ihn. »Du bist an richtige Arbeit sicher nicht mehr gewöhnt, Papa.«
    Charlo fährt sich müde übers Gesicht. Ja, er ist fertig. Er muß die ganze Zeit auf der Hut sein, muß jedes Wort auf die Goldwaage legen. Er klammert sich an diesen Hauch von Fürsorge, daran, daß sie sagt, er sei müde. Ja, er ist erschöpft. Er kommt sich viel älter vor, als er ist, er kommt sich vor wie auf dünnem Eis, er wagt fast nicht, seine Füße abzusetzen, er darf keine plötzlichen Bewegungen machen, darf die Stimme nicht heben. Kein einziger unaufgeklärter Fall. Das ist beunruhigend. Julie legt die Zeitung weg.
    »Ich muß nach Hause und Hausaufgaben machen«, sagt sie. Er nickt, wirft einen verstohlenen Blick auf die

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