Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
Zeitung, will sich zum Fahren bereitmachen. Sie verschwindet im Gang und kommt mit den Reitstiefeln wieder herein.
»Du hast doch immer soviel Schuhcreme und so in der Küche. Ich nehm mir mal kurz die Stiefel vor, ehe wir fahren, dann hab ich das hinter mir. Liegt das Zeug noch immer in der Kiste?«
Er ertappt sich bei einem Nicken und hört, wie sie in die Küche geht, wie sie den Deckel von der Kiste nimmt. Er erhebt sich mühsam aus seinem Sessel, aber sein ganzes System ist träge vor Panik, weil ihm etwas eingefallen ist, er kann seinen Körper nicht auf Trab bringen. Endlich kommt er in die Küche. Julie schaut ihn verwundert an.
»Hast du meinen alten Turnbeutel noch? Was hast du da drin?«
Er gibt keine Antwort, er versucht, klar zu denken, aber sein Gehirn ist wie benebelt. Sie öffnet den Beutel und schaut hinein.
»Schmuck?« fragt sie überrascht.
Er nickt energisch und sucht noch immer nach Worten, nach irgendeiner Erklärung, aber es kommt nichts, es gibt nur dieses hämmernde Herz, das Gefühl von etwas Unwirklichem, wie im Film. Sie zieht der Reihe nach alles heraus, Harriets Armbänder und Broschen und Perlenkette. Sie legt es auf den Tisch. Wieder schaut sie ihn unsicher an, als komme ihr plötzlich eine Ahnung, die ihr Gesicht dunkler werden läßt. Charlo verzieht den Mund zu einem starren Lächeln, während die Panik in seinem Kopf lärmt.
»Ja, die sind von Oma«, sagt er und spürt, wie sein Kopf sich auf und ab bewegt.
»Aber Oma ist doch noch nicht tot?« fragt Julie. Sie nimmt sich die größte Brosche, die Kamee. Dreht und wendet sie im Licht.
»Nein, nein. Aber sie hat mir das alles gegeben. Ich habe doch ihr altes Silber bekommen, das habe ich dir erzählt, und dann habe ich es verkauft. Und eben diesen Schmuck.«
»Aber den habe ich noch nie gesehen«, sagt sie skeptisch.
Charlo verflucht die menschliche Physiologie, die seine Wangen rot färbt.
»Sie hat ihn ja auch nie getragen«, erklärt er hektisch, »deshalb hast du ihn nie gesehen. Deshalb hat sie ihn mir gegeben. Als Vorschuß aufs Erbe. Er ist aber nichts wert«, fügt er rasch hinzu.
»Aber warum liegt er in der Kiste?« fragt sie. »In meinem Turnbeutel?« Er schüttelt verwirrt den Kopf. Findet keine Erklärung. Er glaubt, das Geräusch von brechendem Eis zu hören, eingebrochen zu sein. Der Schaden muß repariert werden, aber er weiß nicht, wie.
»Du weißt«, sagt er und versucht es mit einem selbstironischen Lachen, »ich war schon immer ein Schussel.« Er hat das Gefühl, daß sein Lachen durch das Zimmer hallt.
Sie nickt und ist ganz seiner Meinung. Aber sie ist jetzt verstört, das kann er deutlich sehen. Weiß nicht, wie er damit umgehen soll, aber er weiß, daß er an dieser Sache vorbeikommen muß, er muß sie dazu bringen, zu vergessen.
»Hier«, sagt er und wühlt in der Kiste. Seine Hand kommt mit einer Büchse wieder zum Vorschein. »Das ist gut für deine Stiefel, ich hol einen Lappen.«
Sie setzt sich mit den Stiefeln auf den Boden, ist noch immer stumm. Der Schmuck liegt auf dem Tisch, ganz offen. Er bringt es nicht über sich, ihn anzurühren. Er würde gern den ganzen Augenblick zerreden, während er im Schrank nach etwas sucht, das er als Putzlappen nehmen könnte. Er findet eine alte zerlumpte Unterhose und schneidet sie in zwei Stücke. Reicht ihr die eine Hälfte. Sie nimmt sie zögernd entgegen.
»Ich war schon lange nicht mehr bei Oma«, sagt sie. »Ich hab ein bißchen ein schlechtes Gewissen. Ich sollte sie vielleicht mal besuchen.«
»Sag aber nichts über den Schmuck«, bittet er eilig. »Das verwirrt sie nur.«
»Ach ja?«
Sie drückt den Lappen in das Lederfett.
»Du weißt doch, daß sie von einer Minute auf die andere vergißt. Was sie getan oder gesagt hat.«
Sie schweigt noch immer. Sie poliert die Stiefel, bis die glänzen. Sie hat besorgt die Stirn gerunzelt. Charlo versucht zu scherzen und zu lachen, aber das gelingt ihm nicht gerade gut. Aber sie hört zu und macht mit. Alles wird jetzt gut, es darf keine ernste Schwere geben, keinen Verdacht, keinen Verrat.
ER LIEST Julies Wünsche und Bedürfnisse, ehe sie sie aussprechen muß. Er ist ihr die ganze Zeit eine Sekunde voraus, hellwach, bereit. Sie reitet, und er sieht genau den Moment, wo es ihr zu warm wird, und ehe sie rufen kann, stürzt er vor und nimmt ihr die Jacke ab. Er sieht, wenn Crazy müde ist und nicht mehr will, und dann bringt er die Peitsche, damit sie das Pferd wieder in Gang bringen kann. Er
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