Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
Pfützen von geschmolzenem Eis glitzern in der Sonne, es rieselt leise und ist frühlingshaft. Riesige watteartige Wolkenformationen türmen sich am blauen Himmel auf, ein weißes, lautloses Gepolter. Julie und Crazy arbeiten hart und zielstrebig. Sie kennen einander jetzt sehr gut, das Pferd hat sie bisher mit keinerlei Macken überrascht. Aber Wind mag er nicht. Dann setzen sich Bäume und Büsche unheimlich in Bewegung, dann heult es unheimlich um die Häuser. Ab und zu fliegt eine Plastiktüte zwischen seine Hufe, und dann zuckt er zusammen und bäumt sich auf. Julie klammert sich fest. Sie klebt wie eine Klette an seinem Nacken. Ansonsten ist er ein großer, freundlicher und kupferroter Riese.
Charlo bereitet den Außenparcours vor. Langsam fährt er mit dem Trecker Runden und eggt den Sand, bis der eben und fein wie ein Teppich wird. Er sitzt gern auf dem Trecker, der ist für ihn fast zu einem Spielzeug geworden, es kommt ihm überhaupt nicht vor wie Arbeit. Er fühlt sich auf der großen grünen Maschine zu Hause. Immer gibt es in Møllers Reitzentrum etwas zu tun. Er streicht die Zäune weiß, er räumt Müll weg, den er dann auf dem Hof im Ofen verbrennt. Er zieht neue Seile um die Koppeln und entfernt die größten Steine und das eine oder andere verrostete Hufeisen. Er sammelt die Limoflaschen der jungen Reiterinnen ein, er hebt Kleidungsstücke auf, die sie in der Reithalle vergessen haben, und legt sie in der Sattelkammer in eine Kiste.
Julie reitet nur mit einem kurzärmligen T-Shirt bekleidet in der Sonne. Ihre Haare sind feucht unter dem Helm, ihre Wangen sind rot. Charlo läuft hin und her, bringt ihr zu trinken, versucht sich als Lehrer. Er steht am Ende der Bahn, lehnt am Zaun. Er steht im flimmernden Licht da, aus Sonnenflut und fließendem Wasser.
»Ein bißchen kürzere Zügel«, ruft er. »Du mußt deutlich sein, du mußt die ganze Zeit einen kleinen Vorsprung haben. Vergiß nicht das Hinterteil, er muß mit allen vier Beinen gehen. Sein Hals ist zu lang, versuch, den zu kürzen. Ja. So ist das gut. Willst du ein Hindernis probieren?«
Er macht ein paar Schritte auf die Bahn.
»Willst du es mit eins dreißig versuchen?«
Sie läßt das Pferd eine Volte laufen. Sein Körper ist wunderbar kurz, alle vier Beine sind dabei, sie sehen aus wie ein einziger großer Organismus, gehören zusammen, wie ein Fabeltier.
»Ja. Ach, verflixt, ich laß es drauf ankommen.«
Charlo geht zu dem Hindernis mitten auf der Bahn. Er legt die Querlatte höher, tritt einige Schritte zurück, in ihm krampft sich alles zusammen, das ist so hoch. Er schaut kurz zu Crazy hinüber, sieht die langen Beine, die Muskeln und die Kraft. Vermutlich wird er hinüberfliegen. Aber nur, wenn Julie sicher und entschieden ist, nur, wenn er sich auf sie verläßt. Das Gleichgewicht muß perfekt sein, die Landung sanft, und nach dem Sprung muß er nach rechts drehen, auf das nächste Hindernis zu, das nur einen Meter hoch ist, das macht Crazy mit links. Können sie das schaffen, ist das ungefährlich? Sie will doch weiterkommen, da muß sie sich anstrengen. Sie muß verlangen, daß Crazy ihr gehorcht, sie muß es wagen. Charlo tritt zurück, streift seine Jacke ab und hängt sie über den Zaun. Wartet mit zum Reißen angespannten Nerven. Dann kann er den Mund nicht mehr halten, er fängt an zu rufen.
»Nicht verspannen, das merkt er sofort. Sieh das Hindernis an, sei bei ihm, laß ihn nicht zu weit laufen!«
Sie bringt das Pferd in einen ruhigen Galopp. Biegt ab und findet die Spur, sitzt zusammengekrümmt im Sattel, starrt das Hindernis an. Charlo sieht die Entschlossenheit in ihren Augen. Sie wird mit sich und dem Pferd über das Hindernis setzen, mit insgesamt sechshundertfünfzig Kilo, und sie werden das mit Stil und Eleganz machen. Charlo spannt die Bauchmuskeln an, er macht sich hart, er zittert. Sie ist noch nie so hoch gesprungen. Crazy dagegen wohl, denkt er und hört die Hufe über den Boden donnern, sieht, wie der Staub um die Beine fliegt, sieht den gelbweißen Schaum um das Pferdemaul. Sie nähert sich und verkürzt die Schritte, sie zählt, mißt die Entfernung, und dann nehmen sie Anlauf. Sie nehmen gewaltig Anlauf, und Charlo schnappt nach Luft, denn sie fliegen in einem gewaltigen Sprung hinüber, das Pferd zieht die Hufe hoch und kommt mit den Vorderbeinen auf den Boden auf, Julie legt sich über den Pferdehals. Und dann sind sie gelandet. Sie lenkt ihn nach rechts, die Drehung ist zu abrupt, sie rutscht ein
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