Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)

Titel: Der Mord an Harriet Krohn (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karin Fossum
Vom Netzwerk:
nach, verflucht aber sich und seinen eigenen Mangel an Ruhe, das alles ist doch Routine. Er ist doch darauf vorbereitet. Er hat geglaubt, darauf vorbereitet zu sein. Er wirft einen letzten Blick zu Julie hinüber, sie sieht nicht, was hier passiert.
    »Naja«, sagt Charlo, er versucht, sich großzügig anzuhören. »Zwei Minuten kann ich mich wohl freimachen.« Er zuckt hilflos mit den Schultern, in seinem Hals schwillt ein Kloß an, gibt es niemanden, der ihn jetzt retten kann, der sieht, was hier geschieht? Sejer geht jetzt mit langen, ruhigen Schritten auf den Volvo zu. Charlo läuft hinterher. Seine Beine machen ihm ein wenig Probleme, sie wirken so locker und seltsam. Und seine Füße baumeln einfach unten an seinen Waden.
    Alles, was ich sage, kann und wird vermutlich gegen mich verwendet werden, denkt er.
    Jede Bewegung in meinem Gesicht, jedes Zittern meines Mundes, flackernde Blicke, das alles wird mich verraten. Dieses ganz besondere Leuchten in meinem Blick, das von abgrundtiefer Schuld zeugt. Nein, bei Gott, er sieht die Schuld nicht, jetzt zählen nur die Worte, das, was ich wirklich sage. Ich sage nein, nein, das stimmt nicht, ich kann mich nicht erinnern, es ist lange her, und die Tage gehen ineinander über wie Wassertropfen. Du mußt die Kontrolle gewinnen. Du mußt dir alles merken, was du sagst, er wird dich bitten, dieses und jenes zu wiederholen, vielleicht bis ins Unendliche. Sei jetzt freundlich, sei ruhig. Du darfst nicht die Fassung verlieren. Laut sagt er:
    »Jetzt schleppe ich Ihnen aber Pferdemist ins Büro.«
    Er schaut auf seine Stiefel hinunter, zuckt beschämt mit den Schultern. Sejer hat die Tür geöffnet. Charlo schaut in den großen Raum.
    »Ach, hier waren schon so viele«, sagt Sejer mit einem plötzlichen und überaus charmanten Lächeln. Und Charlo fühlt sich entspannter. Wir reden nur ein bißchen, denkt er, ich schaffe das schon, ich muß jetzt stark sein. Sicher und fest und entschieden. Er geht hinein und bleibt mitten im Zimmer stehen. Das Büro ist hell und geräumig, voller kleiner privater Dinge, Bilder an den Wänden, Figuren. Grüne Pflanzen vor dem Fenster, sie sehen gepflegt aus. Ein Schreibtisch und ein großes Fenster mit Blick auf den Fluß. Ein grüner Aktenschrank und ein Kühlschrank, vielleicht mit kalten Getränken. Ein Computer. Papierstapel und Bücher in einem Regal.
    »Setzen Sie sich, Torp«, sagt Sejer und zeigt auf einen Sessel. Er geht zum Kühlschrank und nimmt eine Flasche Mineralwasser heraus. Charlo mustert ihn verstohlen. Sejer bewegt sich gelassen, nichts an ihm wirkt überstürzt. Jetzt gehören ihm Zeit und Raum. Charlo ist auf der Hut. Das hier ist kein Verhör, denkt er, das ist nur ein Gespräch. Der Hund hat sich an die Wand gelegt, es sieht aus, als habe jemand eine graue Lederjacke mit schwarzen Knöpfen fallen lassen. Charlo bekommt ein Glas, Sejer öffnet die Flasche und schenkt ein. Charlo versucht, sich im Sessel geradezusetzen, er macht sich hart, ist zutiefst konzentriert. Was Julie wohl denkt? Er hätte ihr Bescheid sagen sollen. Nein, sie hätte sich nur Sorgen gemacht, und Julie muß geschont werden. Julie soll niemals ein Teil von diesem hier werden, sie soll ihr ganzes Leben in glücklicher Unwissenheit verbringen. Sejer sitzt jetzt in seinem Sessel. Er streift die Lederjacke ab und hängt sie ordentlich über die Rückenlehne. Auf dem Tisch liegt eine Schreibunterlage aus Plastik. Eine Weltkarte, und Charlo sucht automatisch nach Norwegen, das in Rosa wiedergegeben ist. Er wünscht sich weit fort. Deshalb reist er mit den Augen durch Europa und kommt nach Italien. Von Italien aus fährt er in die Hafenstadt Piräus und dann weiter zu einer der griechischen Inseln. Kein Wort wird gesprochen. Er müßte vielleicht drauflos plappern, wie unschuldige Menschen das tun, sie reden, ohne zu denken, über Gott und die Welt. Aber er kann die Stille nicht brechen. Wenn er anfängt zu reden, wird er die Kontrolle verlieren, die Wörter werden losgaloppieren und vielleicht in eine Falle laufen. Wenn Sejer einer ist, der Fallen stellt. Und das ist er natürlich, das ist sein Beruf, er hat allerlei Techniken gelernt. Charlo wartet, während es in seinem Kopf tost. Sejer mustert ihn mit ernster Miene, blättert in seinen Papieren. Jetzt gibt es nur diese beiden Männer und die Sekunden, die vergehen. Charlo legt ein Bein über das andere und nimmt es wieder herunter. In der Stille ist ein kleines Rauschen zu hören, das langsam lauter

Weitere Kostenlose Bücher