Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
ist sehr tief. Er nickt als Antwort, mechanisch. Es ist wirklich matschig hier, wo er steht, einige Tage mit Wind wären schön, um den Boden zu trocknen, denkt er, und auf dem Platz liegt vom vielen Streuen im Winter so viel Sand, den müßte er wegfegen. Es gibt soviel zu tun, er ist für Møller jetzt fast unentbehrlich, und darauf hat er auch gesetzt. Er kann seine Gedanken nicht unter Kontrolle halten, die laufen in alle Richtungen davon. Er sieht, daß der Mann die Hand ausstreckt, er ist wirklich sehr groß, vielleicht zwei Meter, breitschultrig und gut angezogen, Lederjacke und schwarze Hose.
»Sejer«, sagt er. »Kriminalpolizei.«
Charlo ist zu stramm zusammengenäht. Jetzt platzt er auseinander, Stich für Stich. So soll es nicht geschehen, hier draußen, unter Leuten. Es soll nicht vor Julies Augen stattfinden. Er bohrt die Hände in die Taschen. Sein Gesicht fühlt sich wie erstarrt an.
»Ja?« fragt er heiser, denn seine Stimme hat ihn schon im Stich gelassen, und die Landschaft um ihn herum zieht sich eilig zurück und verschwimmt. Er wird in die Vergangenheit zurückgerissen, und alles, was in den letzten Monaten gewesen ist, war nur ein kurzer Blick in eine Zukunft, die ihm doch nicht gehören wird. Sejer schweigt. Charlo reißt sich zusammen. Er muß aus diesem Lähmungszustand ausbrechen und sich wie ein normaler Mensch benehmen.
»Was ist denn los?« fragt er und versucht ein Lächeln. Er muß die Zunge ausstrecken, um sich die Lippen anzufeuchten. Møllers Apfelbäume müssen beschnitten werden, denkt er, die Zweige ragen in alle Richtungen auseinander, das ist wohl seit zwei, drei Jahren nicht mehr gemacht worden, und der Rasen wird wohl auch nur selten gemäht. Überhaupt gibt es hier viel zu tun, wenn er will, kann er von morgens bis abends hier herumrennen. In seinem Kopf hat es zu ticken angefangen, kleine scharfe Stiche.
»Ich würde es sehr zu schätzen wissen, wenn Sie zu einem Gespräch mit auf die Wache kommen könnten.«
Charlo schnappt nach Luft. Sein Kopf wackelt hilflos auf und ab, ohne daß er das will. Er kommt nicht auf die Idee, sich zu weigern, er muß hier den Unschuldigen spielen. Er muß kooperativ und freundlich sein und seine bürgerliche Pflicht tun.
»Warum denn?« fragt er kraftlos. Er verflucht seine dünne Stimme. Sejer schweigt, denkt nach.
»Wir arbeiten an einem schwierigen Fall«, sagt er, »und verschiedene Umstände haben uns zu Ihnen geführt. Wir brauchen Sie nur als Zeugen, das hier ist wirklich reine Routine.«
Das letzte kommt in einem beruhigenden Tonfall. Charlo merkt, daß sein Mund offensteht, aber er kommt gar nicht auf die Idee, ihn zu schließen. Er bekommt nicht genug Luft, seine Augen kommen ihm vor wie ausgedörrt, die Wimpern scheinen zusammenzukleben, weshalb er wie ein Blöder damit klimpert. Er nickt und hört zu, legt eine Hand auf den Zaun. Er muß sich irgendwo festhalten.
»Ich muß meine Tochter nach Hause fahren«, erklärt er und nickt hinüber zur Bahn. »Aber ich schaue gern vorbei, morgen zum Beispiel.« Er versucht, deutlich zu sprechen, hilfsbereit zu sein, zugleich aber die Kontrolle zu übernehmen, über sich selbst zu bestimmen. Aber er bestimmt nicht über sich selbst, er geht überall aus den Nähten, er zerfließt wie das schmutzige Wasser unter seinen Füßen.
Sejers Gesicht ist noch immer unbeweglich. Charlo sieht die scharfe Kante im Kiefer, das breite, energische Kinn. Er sieht den Nasenrücken als scharfen Grat. Seine Augen sind dunkel und forschend.
»Es dauert nur zwei Minuten«, sagt er ruhig. »Und ich bringe Sie natürlich wieder her.«
Das klingt wie ein Befehl. Die Stimme läßt keinen Raum für Widerspruch, ein Widerspruch wäre ein Geständnis, wenn er das hier schaffen will, dann muß er mitkommen und zu Diensten sein. Wieder nickt Charlo, er kommt sich vor wie eine Marionette.
»Wir können doch im Auto reden?« schlägt er vor und nickt nach hinten, in Richtung auf den grauen Volvo und seinen eigenen verbeulten Honda. Und bereut diesen Vorschlag sofort. Sejer lächelt geduldig. Er hat ein sehr markantes Gesicht, die grauen Haare sind ganz kurz geschnitten. Er ist zehn Jahre älter als Charlo. Seine Kleidung, die elegante Lederjacke und die schwarze Hose mit der Bügelfalte, wirkt in dieser Umgebung fehl am Platze, hier laufen alle in Reithosen und hohen, verdreckten Stiefeln herum.
»Leider haben wir unsere Regeln, an die wir uns halten müssen«, sagt Sejer und sieht ihn an. Charlo gibt sofort
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