Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
Stück nach hinten, zieht sich aber wieder nach vorn. Sie läßt ihn jetzt traben, nimmt das nächste Hindernis mit einer fast gleichgültigen Miene. Charlo läuft los. Seine Hemdenzipfel flattern hinter ihm her.
»Perfekt!« ruft er und hat sie erreicht. Julie atmet tief durch, streichelt den Hals ihres Pferdes.
»Durchaus nicht«, wehrt sie ab, aber ihr Gesicht strahlt. »Ich hatte ein wenig zu große Angst, und das hat er gespürt, aber er hat doch getan, was ich wollte.«
»O verdammt, Julie«, brüllt er, »das hätte Mama sehen sollen! Ein Meter dreißig!«
Sie läßt das Pferd im Schritt gehen. Ist im Gesicht vor Stolz rot wie eine Pfingstrose.
»Ich mach zum Abschluß noch ein bißchen Beinarbeit«, sagt sie kokett über die Schulter.
Charlo geht zum Zaun zurück. Lehnt sich daran, schließt die Augen. Bleibt lange so stehen. Er spürt, wie die Sonne seinen Nacken wärmt, er nimmt die Gerüche von Gras und Tieren wahr, und vom Teer, der in der Sonne weich wird. Er spürt, wie der milde Wind über sein Gesicht streicht. Er steht in vollkommener Ruhe da, sein Körper ist sicher und solide und ganz gesund, da ist er sich sicher. Seine Gedanken machen ein paar Sprünge rückwärts, laufen ihm unversehens davon, wie Pferde durch ein offenes Tor, aber er schließt ganz schnell ab und denkt an die Zukunft. An alles Gute, was kommen wird. Er öffnet die Augen wieder und sieht Julie an, sie trainiert Pirouetten. Ihm erscheint wie ein Wunder, was sie mit dem riesigen Tier alles schafft.
In diesem Hellen, Freundlichen taucht auf einmal ein Schatten auf. Er sieht ihn aus dem rechten Augenwinkel, einen langsamen grauen Schatten. Der interessiert ihn nicht, er schaut nach vorn, sieht, wie das Pferd auf einer unbeschreiblich schmalen Stelle von einem Bein auf das andere tritt. Wie ist es möglich, daß sich ein so schweres Tier auf so kleinem Raum bewegen kann, es ist nicht zu glauben. Der Schatten kommt näher, er frißt sich in sein Blickfeld, er schaut zur Seite, sieht, daß es sich um ein Auto handelt. Es ist ein Volvo, ein grauer Volvo. Er kommt ihm bekannt vor. Der Volvo fährt sehr langsam, kommt zögernd die Straße herunter. Er beobachtet den Wagen, bis er anhält, und in ihm bewegt sich nichts, er beobachtet nur, hat keinen Gedanken, will nur das behalten, was um ihn herum geschieht. Es steigt niemand aus. Deshalb wendet er sich ab und sieht Julie wieder an, sie geht jetzt abwechselnd vorwärts und rückwärts, trainiert den Wechsel. Das Pferd scheint über die Bahn zu schaukeln, rechts, links, rechts, links, ein elegantes Ballett. Eine Autotür schlägt zu. Charlo spürt den Impuls, sich umzudrehen und festzustellen, wer da kommt, aber er tut es nicht, er zieht es vor, die Welt auszusperren. Sicher nur ein Vater, der eines von den Mädchen abholen kommt, oder, nein, er weiß nicht, wer es ist, er stellt sich breitbeinig in den Sand, genießt den Anblick dessen, was sich auf der Bahn abspielt. Nach einer Weile hört er Schritte. Sie knirschen ein wenig im Kies. Dann verspürt er den ersten Stich, die Angst, daß jetzt etwas passiert, etwas, das für ihn gefährlich werden kann. So ist es nicht, denkt er dann, so läuft das nicht ab. Sie kommen ins Haus, sie stehen plötzlich auf der Treppe, vermutlich zu zweit, er hat es in Gedanken oft vor sich gesehen. Er hat nachts davon geträumt. Das hier ist ein einzelner Mann, er will sich einfach nur die Pferde ansehen, das tun viele. Da, ein Schatten auf seiner rechten Seite, überraschend groß. Er will den Kopf nicht drehen, er lehnt sich schwer gegen den Zaun und schlägt die Arme übereinander. Ihm kann es doch egal sein, ob Neugierige sich hier umsehen? Er konzentriert sich auf Julie, ihr gehört seine ganze Aufmerksamkeit. Er spürt, während er dort steht, daß der Mann einen Hund bei sich hat, er hört ein Hecheln. Und ihn überkommt Erleichterung. Ein Spaziergänger mit einem Hund, solche haben sie hier oft. Charlo schaut verstohlen hinüber, betrachtet den Hund. Der sieht sehr seltsam aus, ein kleines bleigraues Wesen voller Runzeln und Falten. Kurze Beine, große Pfoten. Die Augen liegen tief, die Ohren sind dick und klein, vielleicht ist er noch ein Welpe. Er hat sich hingesetzt, neben sein Herrchen, um dort auf weitere Befehle zu warten. Obwohl Charlo Julie ansieht, spürt er den Blick des Mannes. Aber er schaut weiter nach vorn und zählt seine eigenen Atemzüge, ohne zu begreifen, warum, drei, vier, fünf, sechs.
»Charles Olav Torp?«
Die Stimme
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