Der Mord an Harriet Krohn (German Edition)
beide gegen den Rest, denkt er, wir sind stark. Wir schaffen das.
Eine Woche später steht er mit einer kleinen Tasche in der Hand vor dem Krankenhaus. In der Tasche hat er einen Schlafanzug, eine Zahnbürste und Pantoffeln. Toilettensachen, Unterwäsche und ein Buch. Er friert. Er ist unschlüssig, wie auf der Grenze zu einem fremden Land, einem Land, dessen Sitten oder Sprache er nicht kennt. Er sieht hinter der Tür die Umrisse eines Rollstuhls. Menschen strömen hinein und wieder hinaus. Er geht durch die breite Tür, fragt sich zur Neurologie durch. Allein dieses Wort laut zu sagen, ist ihm zuwider. Es ist voller Geheimnisse und Unbehagen. Die Frau an der Rezeption erklärt ihm den Weg, und er geht auf den Fahrstuhl zu. Wird er Schmerzen oder Demütigungen ertragen müssen? Weil er keine Erfahrungen hat, fühlt er sich schrecklich unwohl. Endlich hat er die Abteilung gefunden und darf sich in einen bequemen Sessel setzen. Dann muß er eine endlose Menge von Fragen beantworten. Die werden von einer älteren Krankenschwester gestellt. Nein, er war noch nie im Krankenhaus. Nein, er hat keine Allergien und nimmt keine Medikamente. Besondere erbliche Krankheiten in seiner Familie sind ihm nicht bekannt. Die Schwester läßt sich Zeit, es ist unbegreiflich, was sie alles wissen muß. Er antwortet, so gut er kann, überlegt, bleibt bei der Wahrheit. Dann bringt sie ihn zu seinem Bett, es ist ein Zweibettzimmer. Beide Betten sind leer. Er stellt die Tasche weg und geht ans Fenster, er befindet sich im zehnten Stock und kann die ganze Stadt sehen. Er dreht sich um und betrachtet wieder das Bett. Erwarten die, daß er sich hineinlegt? Er ist doch gerade erst aufgestanden. Er setzt sich in einen Sessel vor dem Fenster, bleibt sitzen und betrachtet die Aussicht, die ist großartig. Zwischendurch nimmt er das Zimmer in Augenschein, es ist groß, mit einer Menge Apparatur über den Betten, Dingen, von denen er keine Ahnung hat. Dann trottet er schließlich doch zum Bett, streift seine Kleidung ab, zieht den Schlafanzug an. Schlüpft unter die straffgezogene Decke. Es ist seltsam, so zu liegen, er ist doch gesund, nichts macht ihm im Moment zu schaffen. Nur seine Gedanken. Er läßt ihnen freien Lauf, hat keine Kraft, sich zu wehren. Eine Stunde später wird er von einer Schwester geholt. Er folgt ihr. Er hat sich schon lange keinem Menschen mehr nackt gezeigt, und er ist nicht mehr ganz jung. Ihm ist das plötzlich schrecklich peinlich. Er hat das Gefühl, daß alles an ihm mißmutig wirkt, sein kahler Kopf, sein schlaffer Bauch. Und die Schwester ist jung und schön. An ihrem Verhalten gibt es nichts auszusetzen, sie ist freundlich. Sie hat überhaupt kein Interesse an ihm und seinem Schicksal, nicht wirklich, sie tut ihre Pflicht, ist sicher und freundlich und beruhigend. Am Ende verschließt er sich, will nur, daß die Zeit vergeht, damit er die Sache hinter sich bringen und wieder nach Hause kann, zu Julie. Zu seinem zerbrechlichen freien Leben. Sie sagen nichts, während sie sich an die Arbeit machen, sie sagen nur, so, das wäre alles, Sie sind jetzt fertig, Herr Torp. Sie können jetzt wieder in Ihr Zimmer gehen. Er geht zurück in sein Zimmer, legt sich wieder ins Bett. Sieht, daß im Nachbarbett ein älterer Mann schläft. Er greift zu seinem Buch und fängt an zu lesen, merkt, daß er Hunger hat. Jetzt, denkt er, stehen sie sicher in ihrem Büro und sehen sich die Ergebnisse an. Sie runzeln die Stirn, nicken einander zu und sind einer Meinung. Er weiß nicht, worüber sie einer Meinung sind. Er kann sich nicht auf das Buch konzentrieren, deshalb legt er es weg. Er schaut aus dem Fenster, betrachtet die Wolkenformationen.
Sie machen drei Tage lang weiter.
Er wird von Zimmer zu Zimmer geführt, legt sich für sie zurecht, auf dem Untersuchungstisch. Er schließt die Augen und hält den Atem an. Er befolgt alle Anweisungen, ist kooperativ. Beantwortet aufrichtig alle Fragen. Er überläßt sich ihnen, es ist wie ein Fall, er weiß nicht, wo er landen wird. Welches Unglück ihn erwartet. Das Gefühl von Hilflosigkeit ist überwältigend. Sie reden miteinander, und er versteht die Wörter nicht. Die verschiedenen Apparate machen ihm eine Höllenangst, aber nichts tut weh. Bis er eine Spinalpunktion bekommt. Aus purer Angst konzentriert er sich verzweifelt darauf, ihre Befehle zu befolgen. Ruhig atmen, ein und aus, bald sind Sie fertig, das sieht sehr gut aus, Herr Torp.
Jetzt ist alles vorbei. Er liegt im Bett und
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