Der Mord zum Sonnntag
möglich gehalten hätte. Jetzt akzeptierte er die
Tatsache, daß ihm vor dem Prozeß noch eine gewaltige
Hürde zu überwinden blieb.
Schweiß brach ihm aus allen Poren, als er sich
vergegenwärtigte, was ihm da bevorstand.
8
Alvirah saß in ihrem Bungalow am Frisiertisch und
musterte vergnügt die vor ihr aufgebauten Dosen und
Tuben, die sie nachmittags im Schminkkurs geschenkt
bekommen hatte. Dazu gab es noch ein paar wertvolle
Tips von der Kosmetikerin. So hatte sie gelernt, daß sich
bei ihren flachen Backenknochen ein viel schönerer Effekt
erzielen ließ mit einem hellen Rouge anstelle des
gewohnten kräftigen. Außerdem hatte man sie zu dem
Versuch überredet, braune Wimperntusche zu benutzen
und nicht die pechschwarze, mit der sie ihre Augen
wirkungsvoll zu betonen glaubte. «Weniger ist mehr»,
hatte ihr die Beraterin zugeredet, und es machte
tatsächlich einen Unterschied. Alvirah fand, daß sie mit
dem neuen Make-up und dem dezenter getönten braunen
Haar genauso aussah, wie sie Tante Agnes in Erinnerung
hatte, und Agnes war stets die Schönheit der Familie
gewesen. Ebenso erfreulich fand sie es, daß die Schwielen
an den Händen allmählich verschwanden. Keine schwere
Putzarbeit mehr. Das war aus und vorbei.
«Das jetzt ist noch gar nichts. Warten Sie mal ab, wie
fabelhaft Sie aussehen, wenn Baron von Schreiber mit
seiner Behandlung fertig ist», hatte die Kosmetikerin
gesagt. «Mit seinen Kollageninjektionen bringt er die
kleinen Fältchen an Mund, Nase und Stirn völlig weg. Das
ist wie ein Wunder.»
Alvirah seufzte vor Glück. Willy hatte immer erklärt, sie
sei die bestaussehende Frau in Queens und ihm gefalle es,
etwas Handfestes wie sie im Arm zu halten statt einer
modischen Bohnenstange. Aber in den letzten Jahren hatte
sie eben erheblich zugenommen. Wäre es nicht toll, wenn
sie sich zur echten Klassefrau gemausert hätte, bevor sie
gemeinsam auf die Suche nach einem neuen Haus gingen?
Sie gedachte dabei keineswegs mit den Rockefellers in
nachbarschaftliche Beziehungen zu treten – nur mit
Leuten aus dem Mittelstand, die es genau wie sie zu etwas
gebracht hatten. Und wenn Willy und sie weitaus besser
abschnitten als die meisten anderen, wenn sie vom Glück
begünstigt waren wie kaum jemand, so tat es doch gut, zu
wissen, daß man seinen Mitmenschen hilfreich unter die
Arme greifen konnte.
Sobald sie die Artikelserie für den Globe beendet hätte,
würde sie sich ernstlich an das Buch machen. Ihre Mutter
pflegte immer zu sagen: «Du hast eine so lebhafte
Phantasie, Alvirah, eines Tages wird aus dir noch ’ne
Schriftstellerin.» Vielleicht hieß das – jetzt und hier?
Alvirah spitzte den Mund und trug mit dem neu
erworbenen Pinsel sorgfältig korallenroten Lippenglanz
auf. Jahrelang hatte sie sich ein herzförmiges
Puppenmündchen gemalt, um die ihrer Meinung nach zu
schmalen Lippen voller erscheinen zu lassen, war jedoch
hier eines Besseren belehrt worden. Sie legte den Pinsel
weg und betrachtete ihr Werk.
Irgendwie fühlte sie sich ein wenig schuldbewußt, so
glücklich und an allem interessiert zu sein, während diese
nette alte Dame steif und starr im Leichenschauhaus lag.
Schließlich war sie einundsiebzig, tröstete sich Alvirah,
und es muß ganz schnell gegangen sein. Genauso wünsche
ich es mir, wenn die Reihe an mir ist. Doch damit hatte es
noch viel Zeit. Wie ihre Mutter zu sagen pflegte: «In
unserer Familie werden die Frauen steinalt.» Ihre Mutter
war vierundachtzig und ging immer noch regelmäßig
jeden Mittwochabend zum Kegeln.
Das Make-up war zu ihrer Zufriedenheit ausgefallen.
Nun holte Alvirah das Tonbandgerät aus dem Koffer und
legte die Kassette vom Dinner am Sonntag ein. Beim
Abhören runzelte sie nachdenklich die Stirn. Merkwürdig,
wie sich das Bild von Menschen veränderte, wenn man sie
nur reden hörte, ohne sie dabei vor sich zu sehen. Syd
Melnick zum Beispiel war doch angeblich ein mächtiger,
einflußreicher Agent, aber von Cheryl Manning ließ er
sich herumschubsen, und wie. Und sie konnte sich im
Handumdrehen verwandeln – eben noch eine wüste
Schimpfkanonade gegen Syd Melnick wegen Wasser, das
sie selber verschüttet hatte, und gleich darauf die Sanftheit
und Liebenswürdigkeit in Person, als sie Ted Winters bat,
ob sie einmal zusammen mit ihm die Winters-Sporthalle
im Dartmouth College besichtigen dürfe. Dabei fiel
Alvirah ein, wie Craig Babcock sie korrigiert und ihr die
richtige Aussprache
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