Der Mord zum Sonnntag
den fünf Jahren ihrer Ehe neue Lebenszuversicht.
Scott hatte teils neugierig, teils besorgt mit angesehen,
wie Min und ihr zweiter Ehemann, dieser adlige
Taugenichts, ein komfortables, gewinnbringendes Hotel in
einen unersättlichen Moloch verwandelten. Min lud ihn
jetzt mindestens einmal monatlich zum Dinner ein, und in
den letzten anderthalb Jahren hatte er Dora Samuels recht
gut kennengelernt. Deshalb fürchtete er auch bei Mins
telefonischer Benachrichtigung instinktiv das Schlimmste.
Sollte Sammy einen Schlaganfall erlitten haben und
ziellos umherwandern, hätte man sie bestimmt bemerkt.
Alte, kranke Leute übersah man auf der Halbinsel
Monterey nicht. Scott war stolz auf seinen Bezirk. Seine
Dienststelle befand sich in Salinas, der Kreishauptstadt,
rund fünfzehn Kilometer von Pebble Beach entfernt.
Umgehend erteilte er Anweisungen für die
Veröffentlichung einer Vermißtenanzeige und beorderte
einen Streifenwagen aus Pebble Beach nach Cypress Point
Spa.
Während der Fahrt sagte er kein Wort. Der junge Polizist
am Steuer registrierte, daß die Stirn seines Chefs
ungewöhnlich tiefe Sorgenfalten aufwies, daß das kantige,
gebräunte Gesicht unter der widerspenstigen weißen
Mähne gedankenzerfucht war. Wenn der Boß so
dreinschaute, sah er große Schwierigkeiten voraus.
Um halb elf passierten sie das Eingangstor. Das ganze
Areal machte einen ruhigen Eindruck. Es waren nur
wenige Leute unterwegs. Scott wußte, daß die meisten
Gäste sich in den Kuranlagen aufhielten, wo sie
trainierten, sich durchwalken, abreiben und strecken
ließen, so daß Angehörige und Freunde nach ihrer
Rückkehr in Begeisterungsstürme über ihr phantastisches
Aussehen ausbrachen. Oder sie befanden sich in der
Klinik, wo Helmut ihnen eine seiner raffinierten und
höchst kostspieligen Spezialbehandlungen verpaßte.
Er hatte gehört, daß Ted Winters’ Privatjet am
Sonntagnachmittag auf dem Flugplatz gelandet war und
daß Ted sich hier aufhielt. Er hatte mit sich gekämpft, ob
er ihn anrufen sollte. Ted stand unter Mordanklage. Er war
aber auch der Junge, der damals mit seinem Großvater und
Scott begeistert auf Segeltörn gegangen war.
Von Teds Anwesenheit wußte er also, aber als er
Elizabeth an Sammys Schreibtisch sitzend vorfand, blieb
ihm vor Überraschung das Wort im Hals stecken. Sie hatte
ihn nicht die Treppe heraufkommen hören, und er ließ sich
einen Augenblick Zeit, sie unbemerkt zu studieren. Sie
war totenblaß und hatte rote Augen. Aus dem Haarknoten
hatten sich Strähnen gelöst, die ihr ins Gesicht hingen. Sie
zog Briefe aus Umschlägen, warf sie nach einem kurzen
Blick ungeduldig beiseite. Offensichtlich suchte sie nach
etwas. Er stellte fest, daß ihre Hände zitterten.
Er klopfte laut an die offene Tür und sah sie
hochschrecken. In ihrer Miene spiegelten sich
Erleichterung und zugleich schlimmste Befürchtungen.
Spontan sprang sie auf und lief mit ausgestreckten Armen
auf ihn zu. Kurz vor ihm hielt sie plötzlich inne.
«Entschuldigung … Wie geht’s Ihnen, Scott? Schön, Sie
zu sehen.»
Er erriet ihre Gedanken. Sie vermutete, daß er sie wegen
seiner langjährigen Freundschaft mit Ted als Feindin
betrachten könnte. Armes Kind … Rasch zog er sie an
sich und umarmte sie stürmisch. Um seine Rührung zu
verbergen, sagte er barsch: «Sie sind ja nur noch Haut und
Knochen! Ich hoffe, Min hat Sie nicht zu einer ihrer
Hollywood-Kuren verdonnert.»
«Umgekehrt. Ich werde genudelt – jede Menge
Bananensplit und Schokoladenkuchen mit Nüssen.»
«Na, ausgezeichnet.»
Zusammen gingen sie in Mins Büro. Scott zog die
Augenbrauen hoch, als er Mins abgehärmten
Gesichtsausdruck, die wachsamen, verschleierten Blicke
des Barons registrierte. Sie waren beide verängstigt, und
das seiner Meinung nach in einem Maße, das über die
normale Besorgnis wegen Sammy hinausging. Mit
gezielten Fragen erhielt er die gewünschten
Informationen. «Und jetzt möchte ich mir Sammys
Wohnung ansehen.»
Min führte ihn nach oben, gefolgt von Elizabeth und
Helmut. Scotts Anwesenheit gab Elizabeth wenigstens
einen schwachen Hoffnungsschimmer. Zumindest geschah
jetzt etwas. Er war sichtlich ungehalten, weil sie ihn so
spät verständigt hatten.
Scott inspizierte das Wohnzimmer und ging dann ins
Schlafzimmer. Er deutete auf den Koffer, der neben dem
Wandschrank am Boden stand. «Hatte sie vor zu
verreisen?»
«Sie ist gerade zurückgekommen», erklärte Min und
stutzte.
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