Der Mord zum Sonnntag
Weilchen ausgehen, solange die beiden Mädchen hier
zusammen wären.
Nachdem sie das Haus verlassen hatten, sagte Leila: «Ob
du wohl eine Dose Suppe aufmachen und uns ein
Hacksteak braten könntest? Ich muß inzwischen
nachdenken.» Bereitwillig ging Elizabeth in die Küche,
um das Essen vorzubereiten. Während sie es schweigend
verzehrten, merkte Elizabeth, wie froh sie über Mamas
und Matts Abwesenheit war. Wenn sie zu Hause waren,
tranken sie und küßten sich, oder sie stritten und küßten
sich. Beides war gleich gräßlich.
«Sie ändert sich nie», erklärte Leila schließlich.
«Wer?»
«Mama. Sie ist ’ne Säuferin, und egal wen, einen Kerl
wird sie immer haben, bis sie dann einfach kein lebendes
Mannsbild mehr findet. Aber ich kann dich nicht bei Matt
zurücklassen.»
Zurücklassen! Leila durfte nicht weggehen …
«Also pack deine Sachen zusammen», befahl Leila.
«Wenn dieser Schuft anfängt, dich zu betatschen, bist du
hier nicht mehr sicher. Wir nehmen den letzten Bus nach
New York.» Dann streckte sie die Hand aus und zerzauste
ihr das Haar. «Wie ich es schaffe, wenn wir erst mal dort
sind, das weiß nur der liebe Gott, Spatz, aber ich passe auf
dich auf, das verspreche ich.»
An diesen Augenblick erinnerte sich Elizabeth später
überdeutlich. Sie sah jede Einzelheit vor sich: Leilas
Augen, nicht mehr von Zorn verdunkelt, sondern wieder
smaragdgrün schimmernd, aber mit einem stahlharten
Blick; Leilas schlanker, straffer Körper, ihre katzenhafte
Anmut; Leilas glänzendes rotes Haar, das in dem von oben
hereinfallenden Licht noch heller aufleuchtete; Leilas
volltönende, kehlige Stimme, die sagte: «Hab keine Angst,
Spatz. Es wird Zeit, den Staub unserer alten Heimat
Kentucky von den Füßen zu schütteln.»
Dann begann Leila, trotzig lachend, zu singen: «Ich will
dich nie mehr weinen sehn …»
Samstag, 29. August 1987
1
Die Sonne versank hinter den Zwillingstürmen des World
Trade Center, als die Maschine aus Rom über Manhattan
zu kreisen begann. Elizabeth preßte die Stirn an die
Scheibe, trank den Anblick in sich hinein: die
Wolkenkratzer, die frisch renovierte Freiheitsstatue, eine
Fähre beim Durchqueren der Narrows. Diesen Augenblick
hatte sie früher am Ende einer Reise genossen: das Gefühl,
nach Hause zu kommen. Diesmal jedoch wünschte sie sich
sehnlichst, an Bord bleiben zu können, weiterzufliegen –
egal, wohin …
«Einfach zauberhaft, dieser Blick, finden Sie nicht?» Als
sie an Bord gekommen war, hatte die Platznachbarin, ein
Großmuttertyp, freundlich gelächelt und ihr Buch
aufgeschlagen. Zu ihrer Erleichterung, denn sieben
Stunden Konversation mit einer Unbekannten, das war das
Letzte, was sich Elizabeth wünschte. Jetzt hatte sie freilich
nichts mehr dagegen. In wenigen Minuten würden sie ja
landen. Also fand sie den Blick ebenfalls zauberhaft.
«Das war meine dritte Italien-Reise», fuhr ihre
Nachbarin fort.
«Aber ich bin das letzte Mal im August dort gewesen. Es
wimmelt nur so von Touristen. Und diese schreckliche
Hitze. Wo waren Sie überall?»
Die Maschine setzte zum Landeflug auf den Kennedy
Airport an. Elizabeth fand, daß sie die Frage genauso
direkt beantworten konnte, anstatt irgendwelche
Ausflüchte zu machen. «Ich bin Schauspielerin und war zu
Dreharbeiten in Venedig.»
«Wie aufregend. Auf den ersten Blick erinnerten Sie
mich ein bißchen an Candy Bergen. Sie haben fast die
gleiche Größe und ebenso schönes blondes Haar und
blaugraue Augen. Müßte ich Ihren Namen kennen?»
«Keineswegs.»
Es gab einen leichten Ruck, als das Flugzeug auf der
Landebahn aufsetzte und auszurollen begann. Um weitere
Fragen zu verhindern, zog Elizabeth ihre Bordtasche unter
dem Sitz hervor und überprüfte ostentativ den Inhalt.
Wenn Leila hier wäre, dachte sie, hätte es kein solches
Ratespiel gegeben. Leila LaSalle erkannte jeder sofort.
Aber Leila wäre ja erster und nicht Touristen-Klasse
geflogen.
Wäre geflogen. Nach all den Monaten war es an der Zeit,
ihren Tod als Tatsache zu akzeptieren.
Auf einem Zeitungsstand gleich hinter der Zollschranke
stapelte sich die Abendausgabe des Globe. Unmöglich, die
Schlagzeile zu übersehen. PROZESSBEGINN 8.
SEPTEMBER! Der Untertitel lautete: «Richter Michael
lehnt jede weitere Verschiebung im Mordprozeß gegen
Multimillionär Ted Winters kategorisch ab.» Den Rest der
Titelseite füllte eine vergrößerte Porträtaufnahme von Ted.
In seinen Augen lag Bitterkeit; um
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