Der Mord zum Sonnntag
sortierte Aktenbündel – auf dem Schreibtisch,
auf dem Fußboden, auf den Metallschränken. William
Murphy scheint das Durcheinander nicht weiter zu stören
– oder er hat sich damit abgefunden, dachte Elizabeth.
Murphy, ein Enddreißiger mit beginnender Glatze,
pausbäckig, starker New Yorker Akzent, vermittelte den
Eindruck von scharfem Intellekt und unermüdlicher
Energie. Nach den Verhandlungen vor der Anklagejury
hatte er ihr mitgeteilt, daß man Ted hauptsächlich
aufgrund ihrer Aussage angeklagt habe. Sie wußte, daß er
ihr damit hohes Lob zu zollen meinte.
Er schlug einen dicken Aktenordner auf: Das Volk des
Staates New York gegen Andrew Edward Winters III. «Ich
weiß, wie schwer dies für Sie ist», begann er. «Sie werden
gezwungen sein, den Tod Ihrer Schwester noch einmal zu
durchleben und damit auch den ganzen Schmerz. Und Sie
werden als Zeugin gegen einen Mann aussagen, den Sie
gern hatten und dem Sie vertrauten.»
«Ted hat Leila getötet. Der Mensch, den ich kannte,
existiert nicht.»
«In dem vorliegenden Fall gibt es kein Wenn und Aber.
Ihre Schwester hat durch ihn das Leben eingebüßt, es ist
meine Aufgabe, mit Ihrer Hilfe dafür zu sorgen, daß er
seine Freiheit einbüßt. Der Prozeß wird Ihnen furchtbare
Qualen bereiten, aber danach werden Sie es leichter haben,
zu Ihrem eigenen Leben zurückzufinden, das kann ich
Ihnen versprechen. Nach der Vereidigung wird man Sie
nach Ihren Personalien fragen. Wie ich weiß, ist ‹Lange›
Ihr Künstlername. Denken Sie daran, daß Sie den
Geschworenen den richtigen Familiennamen angeben
müssen – LaSalle. Und nun wollen wir Ihre Aussage noch
einmal durchgehen. Man wird Sie fragen, ob Sie bei Ihrer
Schwester gewohnt haben.»
«Nein, nach dem College bin ich in eine eigene
Wohnung gezogen.»
«Leben Ihre Eltern noch?»
«Nein, meine Mutter starb drei Jahre, nachdem Leila und
ich nach New York kamen. Meinen Vater habe ich nie
gekannt.»
«Schildern Sie den Tag vor dem Mord.»
«Ich war drei Monate auswärts auf Tournee … Ich kam
am Freitag, den 28. März, abends zurück, gerade noch
rechtzeitig zu Leilas Generalprobe.»
«Wie fanden Sie Ihre Schwester vor?»
«Sie stand offensichtlich furchtbar unter Druck und
vergaß dauernd ihren Text. Ihr Spiel war eine glatte
Katastrophe. Während der Pause ging ich zu ihr in die
Garderobe. Sie hat nie getrunken, höchstens mal ein Glas
Wein, und jetzt hatte sie sich puren Scotch eingeschenkt.
Ich nahm ihn ihr weg und schüttete ihn ins Waschbecken.»
«Wie reagierte sie?»
«Sie war außer sich vor Wut. Ein völlig anderer Mensch.
Aus Alkohol hatte sie sich nie viel gemacht, aber plötzlich
trank sie in Mengen … Ted kam in die Garderobe. Sie
schrie uns beide an, wir sollten rausgehen.»
«Hat Sie dieses Verhalten überrascht?»
«Es wäre wohl richtiger zu sagen, daß es mich entsetzt
hat.»
«Haben Sie mit Winters darüber gesprochen?»
«Er wirkte bestürzt. Er war ebenfalls viel unterwegs
gewesen.», «Geschäftlich?»
«Ja, ich nehme an …»
«Die Vorstellung lief schlecht?»
«Ein Reinfall. Leila weigerte sich strikt, vor den
Vorhang zu treten und sich zu verbeugen. Hinterher
gingen wir alle ins Elaine. »
«Wen meinten Sie mit ‹wir›?»
«Leila … Ted und Craig … mich … Syd und Cheryl …
Baron und Baronin von Schreiber. Den engen
Freundeskreis.»
«Sie werden vor der Jury nähere Erklärungen zu den
einzelnen Personen abgeben müssen.»
«Syd Melnick war Leilas Agent. Cheryl Crane ist eine
sehr bekannte Schauspielerin. Baron und Baronin von
Schreiber sind die Besitzer von Cypress Point Spa in
Kalifornien. Min – die Baronin – hatte früher eine
Fotomodell-Agentur in New York. Sie verschaffte Leila
ihren ersten Job. Ted Winters – ihn kennt jeder, er war
Leilas Verlobter. Craig Babcock ist Mitarbeiter von Ted,
geschäftsführender Vizepräsident von Winters
Enterprises.»
«Was geschah im Elaine? »
«Es gab eine fürchterliche Szene. Irgend jemand rief
Leila zu, er habe gehört, das neue Stück sei durchgefallen.
Sie wurde fuchsteufelswild. ‹Und ob!› brüllte sie. ‹Eine
Superpleite, aber ohne mich! Habt ihr das alle gehört? Ich
steige aus!› Danach feuerte sie Syd Melnick. Sie warf ihm
vor, er habe sie nur seiner Prozente wegen da reingeritten.
In den letzten zwei Jahren hätte er ihr alles mögliche
aufgeschwatzt, weil er das Geld brauchte.» Elizabeth biß
sich auf die Lippen. «Eins müssen Sie verstehen – das war
nicht die
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