Der Mord zum Sonnntag
Nach einem kurzen Augenblick gingen sie die
Treppe hinunter, das Echo ihrer Schritte hallte weithin.
RIVALINNEN ODER
SCHLANGEN IM PARADIES
Prolog Juli 1969
Die Sonne tauchte Kentucky in glühende Hitze. Die
achtjährige Elizabeth suchte, in eine Ecke der schmalen
Veranda gedrückt, Schutz in dem spärlichen
Schattenstreifen, den das überhängende Vordach warf.
Das Haar, obwohl zurückgebunden, lastete ihr schwer im
Nacken. Die Straße war menschenleer, die meisten Leute
hielten entweder ihren sonntäglichen Mittagsschlaf oder
tummelten sich in der städtischen Badeanstalt. Sie wäre
auch gern schwimmen gegangen, hütete sich aber
wohlweislich, um Erlaubnis zu bitten. Ihre Mutter und
Matt hatten den ganzen Tag über getrunken und dann zu
streiten angefangen. Sie haßte diese
Auseinandersetzungen, besonders im Sommer, wenn die
Fenster offenstanden. Alle Kinder hörten dann auf zu
spielen und lauschten interessiert. Diesmal war der Krach
wirklich lautstark ausgefallen. Ihre Mutter hatte Matt
wüste Schimpfworte ins Gesicht geschrien, so lange, bis er
sie wieder schlug. Jetzt schliefen sie beide, schlaff
hingestreckt, ohne Bettdecke, die leeren Gläser neben sich
auf dem Fußboden.
Wenn doch ihre Schwester Leila bloß nicht jeden
Samstag und Sonntag arbeiten würde! Bevor Leila den
sonntäglichen Job annahm, hatte sie den Tag ausdrücklich
für Elizabeth reserviert und ihn gemeinsam mit ihr
verbracht. Die Mädchen in Leilas Alter zogen meistens
mit Jungen herum, doch Leila nie. Sie wollte nach New
York und Schauspielerin werden und nicht in Lumber
Creek, Kentucky, hockenbleiben. «Weißt du, Spatz, was
der Haken bei all diesen Provinznestern ist? Da heiratet
jeder gleich nach der High School, und das Ende vom
Lied ist dann ein Haufen plärrender Gören mit
vollgekleckerten Turnhemden. Das bitte nicht mit mir.»
Elizabeth hörte Leilas Schilderungen über ihre Zukunft
als Star andächtig zu, auch wenn sie ihr zugleich Angst
einflößten. Sie konnte es sich nicht vorstellen, in diesem
Haus zusammen mit Mama und Matt zu leben – ohne
Leila.
Zum Spielen war es zu heiß. Leise stand sie auf und zog
ihr T-Shirt unter dem Gurtband der Shorts zurecht. Sie war
ein mageres Kind, langbeinig, auf der Nase ein paar
hingetupfte Sommersprossen. Ihre weit
auseinanderliegenden Augen hatten einen ernsthaften,
erwachsenen Ausdruck – «Prinzessin Rührmichnichtan»
nannte Leila sie. Leila erfand ständig Namen für alle Welt
– manchmal lustige, manchmal aber auch recht gehässige,
wenn sie die Leute nicht mochte.
Im Haus war es womöglich noch heißer als auf der
Veranda. Die grelle Nachmittagssonne schien durch die
schmutzigen Fenster auf die Couch mit den
durchgesessenen Sprungfedern und dem an den Nähten
bereits herausquellenden Werg, auf den Linoleumboden,
dessen ursprüngliche Farbe man schon gar nicht mehr
erkennen konnte und der unter dem Ausguß voller Risse
und Buckel war. Vier Jahre wohnten sie jetzt hier. An das
andere Haus, in Milwaukee, konnte sich Elizabeth nur
noch schwach erinnern. Es war ein bißchen größer, mit
einer richtigen Küche, zwei Badezimmern und einem
großen Hof. Elizabeth hätte gern im Wohnzimmer
aufgeräumt, aber sobald Matt aufstand, würde es ja doch
im Nu wieder ein heilloses Durcheinander geben –
Bierflaschen, Zigarrenasche, achtlos herumliegende
Kleidungsstücke. Doch vielleicht lohnte sich ein Versuch.
Aus dem offenen Schlafzimmer ertönte Schnarchen,
rauh, widerlich. Sie spähte hinein. Mama und Matt hatten
sich offensichtlich wieder vertragen. Sie lagen ineinander
verschlungen da – sein rechtes Bein über ihrem linken,
sein Gesicht in ihrem Haar vergraben. Hoffentlich
wachten sie auf, bevor Leila heimkam. Leila konnte es
nicht ausstehen, sie so zu sehen.
Leila machte offenbar Überstunden. Die
Schnellgaststätte lag in der Nähe der Badeanstalt, und an
manchen heißen Tagen erschienen einige Kellnerinnen
einfach nicht zur Arbeit. «Ich hab meine Tage gekriegt»,
jammerten sie dann dem Geschäftsführer am Telefon vor.
«Scheußliche Krämpfe, ehrlich.»
Leila hatte ihr davon erzählt und erklärt, was es
bedeutete. «Mit deinen acht Jahren bist du zwar noch
ziemlich klein, aber bei mir hat Mama sich nie zu einem
Gespräch aufgerafft, und wie’s dann passiert ist, konnte
ich vor lauter Rückenschmerzen kaum nach Hause laufen.
Ich will nicht, daß es dir auch so geht, und ich möchte
auch nicht, daß andere Kinder
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