Der Morgen der Trunkenheit
›Sag es nicht meiner Chanum Djan.‹ Ich habe doch nicht den Verstand verloren, Mädchen. Aber schließlich bist du auch selbst daran schuld. Wie siehst du bloß aus? Mach dich ein wenig zurecht. Kauf dir ein paar Kleider. Du trägst immer noch die Kleider, die du aus deinem Elternhaus mitgebracht hast.«
»Wohin soll ich denn ausgehen?«
»Mußt du etwa irgendwohin ausgehen? Dein Ehemann ist jung. Er sieht gut aus. Zieh sie für deinen Ehemann an.«
Sie redete mir eine Weile gut zu, dann wechselte ich das Thema und fragte, »Was gibt’s Neues, liebe Amme?«
»Gute Nachrichten!«
»Sag schnell, was für eine Nachricht?«
»Mansur Agha hat geheiratet.«
»Und weiter?«, fragte ich.
Sie sagte, »Ja, Mansur Agha. Frag mich, wen.«
»Nun gut, wen?«
Wieder bohrte sich mir ein Stachel in die Brust. Ich begehrte Mansur bestimmt nicht. Wenn es also nicht aus Eifersucht war, weswegen dann? Die Amme sagte, »Die Tochter von Herrn Giti-Ara.«
Ich hatte den Namen Giti-Ara schon gehört und kannte seinen guten Ruf. Ich war verblüfft, daß Mansur so eine hervorragende Wahl getroffen hatte. Es verdroß mich. Ich weiß nicht, weshalb ich mir gewünscht hatte, seine Wahl würde sich als unpassend und unwürdig erweisen. Gezwungen sagte ich, damit die Amme meine Verfassung nicht bemerkte, »Ach so, der, dessen Garten an Onkelchens Garten grenzt? Der ein Gelehrter und begabter Dichter ist?«
»Ja… Dein Agha Jan sagt, sein Haus sei voll mit Büchern. Er sagt, er sei ein freisinniger Mann. Ein Ehrenmann. Weiß Gott, wie sehr er ihn achtet.«
Hochmütig und gleichgültig sagte ich, »Nun, soviel zu den Vorzügen ihres Vaters. Erzähl doch auch ein wenig über die Tochter. Das sagt doch nichts über ihre Vorzüge.«
Die Eifersucht ließ mich nicht los. Ich wollte Giti-Ara herabsetzen,um mein Mütchen zu kühlen, doch es gelang mir nicht. So sehr ich auch nach Fehlern und Mängeln suchte, ich fand keine. Herr Giti-Ara war ein gelehrter und geachteter Mann, daran bestand kein Zweifel. Da seine Ehefrau aus dem Hochadel war und da Prinzessinnen zumeist gut aussahen, mußte Mansur eine hübsche Frau bekommen haben. Ich zweifelte nicht mehr daran, daß ich eifersüchtig war. Natürlich hatte ich es nicht auf Mansur abgesehen, doch aus irgendeinem Grund hoffte ich in einem Winkel meines Herzens, ihm möchte kein gutes Schicksal beschieden sein. Er möchte stets mich begehren und sich nach mir sehnen. Er sollte nicht glücklicher werden als ich. Mir wurde schwach ums Herz. Ich fragte mich, was hattest du erwartet? Wolltest du, daß Mansur deinetwegen bis an sein Lebensende herumsitzt und Tränen vergießt? Ja, offenbar wünschte ich mir das insgeheim. Die Amme fügte hinzu, »Wallah, ich versteh ja nichts davon, aber es heißt, das Mädchen sei ebenfalls sehr gebildet. Offenbar dichtet sie sogar selbst.«
Ich wußte, daß Mansur den Künsten zugeneigt war. Ich hatte ihn auf der Tar spielen sehen. Ich fragte, »Vermutlich ist Mansur außer sich vor Freude?«
»Ach wo, davon ist keine Rede.«
»Hast du die Braut gesehen? Ist sie hübsch?«, fragte ich.
»Hübsch, was soll ich sagen? Aber man sagt, sie sei eine reizende Dame. Man sagt, ihr Vater hätte jede Mühe auf ihre Erziehung verwendet. Es heißt, daß sie, obwohl ein Mädchen, ihre Brüder an Bildung und Kunstfertigkeit überflügelt. Es heißt, ihr Vater hätte testamentarisch verfügt, daß man nach seinem Tod die Bibliothek ihr übergibt. Er soll gesagt haben, ›Es gibt keinen Unterschied zwischen Töchtern und Söhnen. Wenn mir meine Tochter nicht teurer ist als meine Söhne, so ist sie mir auch nicht weniger wert als sie. Diese eine Tochter wiegt alle ihre Brüder und Schwestern auf.‹ Ich habe sie nur einmal gesehen. Es war am Tag der Feierlichkeiten nach ihrem Hochzeitsfest. Sie hielt ihr Gesicht beharrlich mit dem Tchador bedeckt. Nur ihre Augen und Brauen waren zu sehen.«
Aufgeregt fragte ich, »Wie war sie denn?«
»Nicht übel. Mit aristokratischen Zügen halt. Man sagt, ihre Großmutter väterlicherseits stamme aus Georgien. Und die Georgierinnen sind ja berühmt für ihre Schönheit. Ihre Augen sind anscheinend grünlich.«
Erneut war ich verdrossen. »Wie heißt sie?«, fragte ich.
»Nimtadj.« Die Amme senkte ihre Stimme, als spräche sie über eine vertrauliche Angelegenheit, und fügte hinzu, »Aber es heißt, sie sei zwei, drei Jahre älter als Mansur Chan. Sie ist eine alte Jungfer, ungefähr vierunddreißig Jahre alt. Sie hat es Mansur Agha
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