Der Morgen der Trunkenheit
von vornherein gesagt, ›Mir liegt nichts am gesellschaftlichen Umgang und an Einladungen, aber ich werde Sie davon nicht abhalten. Sie können allein ausgehen.‹ Sie hat gesagt, ›Sie haben freie Hand, und ich ebenfalls. Ich ziehe es vor, mein Leben mit Beten und dem Führen des Haushalts zu verbringen. Und Sie können Ihren eigenen Angelegenheiten nachgehen. Allem, was Ihnen gefällt.‹«
Halb spaßend und halb spöttisch fragte ich, »Weshalb? Vielleicht ist sie sich zu schade, überall hinzugehen. Vielleicht ist sie darüber erhaben.«
Die Amme wedelte spöttisch mit der Hand und sagte lächelnd, »Ach was, hast du das wirklich geglaubt? Man meidet doch nicht grundlos Einladungen. Die junge Frau ist pockennarbig. Sie will nicht, daß man ihr Gesicht sieht.«
Erstaunt stellte ich fest, wie ich vor Wonne zerfloß. Wie gemein ich doch war! Auch Mansur hatte es nicht gut getroffen. Grundlos freute ich mich. Als würde jemand in mir ständig wiederholen, ›Geschieht ihm recht.‹ Ich ließ es mir jedoch nicht anmerken. Jetzt, wo ich die Wahrheit erfahren hatte und der Sache auf den Grund gekommen war, jetzt, wo alles nach meinen Vorstellungen verlaufen war, tat Mansur mir leid. »Der Ärmste! Weshalb hat er sie denn geheiratet? Eine alte, pockennarbige Jungfer?«
»Deine Tante meint, wegen des Geldes. Aber das glaube ich nicht. Es geht ihnen zwar nicht schlecht, aber auch nicht so gut, daß es einen jungen Mann wie Mansur blenden würde. Man sagt, einmal habe eine der gehässigen Frauen aus ihrer eigenen Familie gesagt, ›Wenn ich die Reiskruste des Linsen-Pilavs sehe, muß ich an dich denken.‹ Ihr Vater habe statt ihrer geantwortet, ›Meine Tochter verfügt statt über Schönheit über so viel Wissen und Vollkommenheit, daß den Gelehrten ihr Gesicht ebener als Porzellanmalerei erscheint. O, Bruder, zeichne dich durch ein gutes Wesen aus.‹ Und so ist es auch. Mansur nennt sie in einem fort ›Chanum‹. Er behandelt sie so respektvoll, daß du es sehen müßtest.«
»Was meint Onkelchen dazu?«, fragte ich.
»Dein Onkelchen liebt Mansur so sehr, daß er alles, was er sagt, akzeptiert.«
Ich sagte, »Nicht schlecht, liebe Amme. Ich würde gern wissen, welche Rechtfertigung die Tante, die über jeden ihre sarkastischen Bemerkungen macht, für ihre Schwiegertochter vorzubringen hat?«
»Keine. Wer traut sich schon, an der etwas auszusetzen? Sie würde sie in der Luft zerreißen. Am Tag des Patachti hat sie Nimtadj so oft mit ›Frau Prinzessin‹ angesprochen, daß alle es leid waren. Schließlich hat die junge Frau gesagt, ›Chanum, meine Mutter ist Prinzessin, ich doch nicht! Ich bin Mansur Aghas Frau. Nennen Sie mich bei diesem Namen.‹«
»Dann ist sie ja keine üble Frau.«
»Nein, wahrhaftig. Ich sag ja, alle loben sie. Man sagt, sie sei wirklich eine Dame. Sie hat Charakter. Das sagen nicht etwa nur ihre Angehörigen! Alle mögen sie, von den Fremden bis zu den Dienerinnen und Dienern. Es heißt, zwischen ihren Dienstboten sei es zum Streit gekommen, als sie eine davon in das Haus ihres Ehemanns mitnehmen wollte. Alle hätten gesagt, ›Ich will mit der Chanum mitgehen.‹ Man sagt, weil sie so gutherzig ist. Dein Onkelchen hat den Shemiraner Garten auf Mansurs Namen überschrieben. Und die junge Frau hat Mansur Agha gesagt, ›Bauen Sie mir ein Haus im Shemiraner Garten, ich werde dort leben.‹ So sehr Mansur Agha sie auch beschworen hat, ›Aber er liegt weit weg, und im Winter ist es dort kalt‹, sie hat geantwortet, ›Nein, mir liegt doch nichts am gesellschaftlichen Umgang. Wenn Ihnen meine Zufriedenheit am Herzen liegt, lassen Sie mich dort wohnen.‹ Und Mansur Agha hat gesagt, ›Aber gern.‹«
Plötzlich geriet ich in Versuchung. Ich stand auf und betrachtete mich im Spiegel in der Wandnische. Die Amme hatte recht. Wie sah ich bloß aus? Bei meiner Jugend und Schönheit besaß ich nicht mal ein neues Kleid. Unvermittelt sagte ich, »Liebe Amme, komm, laß uns einkaufen gehen. Ich will Stoff kaufen, den du Chanum Djans Schneiderin gibst, damit sie mir etwas näht.«
In den Straßen und Gassen suchten wir nach Stoff, Crêpe de Chine. Die Amme sagte, »Warum nur eins? Laß dir zwei auf einmal nähen, damit du wechseln kannst.«
»Aber in welcher Größe? An wem wird sie denn Maß nehmen?«
»Na, an Chodjasteh halt!«
»Ach was, ist sie denn schon so groß geworden?«
»Inzwischen ist sie eine Dame, maschallah. Nur ein wenig fülliger als du. Du bist ja nichts als Haut und
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