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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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offen. Als sei ich in Dunst und Nebel eingehüllt. Ich hörte ihre Stimmen von fern. Er fragte, »Mahbub Djan, was ist geschehen? Bist du hingefallen? Aber, aber… weshalb denn?«
    Seine Mutter schlug mit zitternden Händen meinen Rock hoch. Plötzlich erstarrte sie in dieser Haltung und sagte zornig, »Durchtriebenes Stück! Hingefallen? Nein, mein Lieber, sie ist nicht hingefallen. Sie hat sich das Kind wegmachen lassen.«
    Rahim erstarrte wie vom Blitz getroffen. Mit offenem Mund glotzte er seine Mutter an. Er schluckte ein paar Mal seinen Speichel herunter und fragte dann, »Was? Was hast du gesagt?«
    »Nichts. Sie hat das Kind abtreiben lassen.«
    Plötzlich schwoll Rahims Halsader. Der Ausdruck seiner Augen veränderte sich. Er hob die Hand, um mir ins Gesicht zu schlagen, »Du hinterhältiges Biest! Du verdammte Hexe!«
    Seine Mutter packte seine Hand in der Luft, »Was machst du denn da? Willst du sie umbringen? Sie wird an den Blutungen noch sterben. Geh und hol den Arzt.«
    Es war Ende September, doch die Luft war noch warm. Dennoch zitterte ich vor Kälte. Sie schlossen die Türen und legten eine Decke über mich. Ich schlief ein. Ich erwachte. Es war nachts. Um mich herum herrschte reges Kommen und Gehen. Ich hatte Schmerzen. Jemand hielt meine Hand. Ich hatte Schmerzen im Kopf und im Unterleib. Aber sie waren nicht mehr so stark. Bei jeder Bewegung floß Blut aus meinem Körper. Man flößte mir etwas ein. Man wechselte mir die Windeln. Wischte mir den Schweiß von der Stirn. Es wurde Morgen. Ich jammerte, »Schließt die Fensterläden.« Ich wollte, daß das Zimmer dunkel war. Ich bemerkte nicht mehr, wann es Tag und Nacht wurde. Doch meine Schmerzen ließen allmählich nach. Ich fror nicht mehr und stöhnte nicht mehr. Ich erwachte. Was für eine angenehme Sonne. Ich war hungrig. Meine Schwiegermutter brachte mir Katschi. Sie war leichenblaß und abgemagert. Ihre Augen warenvor Schlaflosigkeit gerötet. Es gelang mir, mich aufzusetzen und mich an das Rückenkissen zu lehnen. Kraftlos fragte ich sie, »Was für ein Tag ist heute?«
    »Samstag.«
    »Habe ich so lang geschlafen?«
    »Du hattest Glück, daß du am Leben geblieben bist. Gott weiß, wie viele Ärzte dich untersucht haben. Der arme Rahim. Er ist ganz erledigt. Vier Nächte lang haben er und ich kein Auge zugetan. Es war Gottes Wille, daß du am Leben geblieben bist.«
    Erleichtert lehnte ich meinen Kopf ans Kissen und lächelte vor Freude.
    Rahim kam. Als er merkte, daß es mir besser ging, setzte er keinen Fuß mehr in mein Zimmer. Wie froh ich war. Ich genas rasch. Tagsüber kam mein Sohn zu mir, und ich spielte fröhlich mit ihm. Nachts kam Rahim. Er setzte sich in den Salon und aß dort zusammen mit seiner Mutter zu Abend. Mein Abendessen brachte sie mir. Rahim schlief im Salon. Wie froh ich war. Ich wurde allmählich gesund. Ein Monat verging. Ich konnte wieder gehen. Doch die Amme war nicht gekommen. Allmählich machte ich mir Sorgen. Rahim betrat das Zimmer. Ohne Begrüßung starrte er mir in die Augen. Er glich einem Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Das merkte ich an seinem Blick. Er sagte, »Ich brauch Geld.«
    »Die Amme ist diesen Monat noch nicht gekommen. Ich habe kein Geld.«
    »Ich sagte, ›Ich brauch Geld.‹ Was hast du mit dem Geld gemacht?«
    »Ich habe es ausgegeben.«
    »Zum Töten ausgegeben? Bist hingegangen und hast mein Kind abgetrieben? Wem hast du dein ganzes Hab und Gut gegeben? Sag mir, zu wem du gegangen bist?«
    Ich spürte, daß es gleich zu einem Ausbruch kommen würde. Lustlos wandte ich mich ab und setzte mich ans Fenster.
    »Ich habe mein ganzes Geld unter die Lampe mit dem tulpenförmigen Schirm gelegt. Nimm es und geh.«
    Ohne ein Wort hob er die Lampe an und nahm das Geld. Er stellte sie wieder an ihren Platz und ging. Ich fühlte mich wie ein geköpftes Huhn. Tag und Nacht bereute ich mein Tun. Kein Tag verging,an dem ich mir nicht sagte, ›Was hast du dir bloß eingebrockt, Mahbube.‹
    Nach und nach wurde ich unruhig. Die Amme hatte sich außergewöhnlich verspätet. Was sollte das bedeuten? Tausend Gedanken gingen mir durch den Kopf. War Chanum Djan krank geworden? War meinem Agha Djan etwas zugestoßen? Rahim fragte, »Ist die Amme noch nicht gekommen?«
    »Nein, ich weiß nicht, weshalb. Ich mache mir Sorgen.«
    Er lachte hämisch, »Hab keine Angst. Nichts ist geschehen. Sie hat die Gelder geschnappt und ist mit ihnen durchgebrannt.«
    Unsere Beziehung war frostig geworden. Rahim hatte sich in

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