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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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entlegensten Winkeln spürte er sie auf und brachte sie an ihr Lager. Die ärmste Große Chanum. Ich meine Nimtadj Chanum. Trotz der vielen Dienerinnen und Angestellten war sie selbst zur Magd der Nebenfrau geworden und bediente sie. Aber was nützte es? Am dritten Tag ist es mit ihr zu Ende gegangen.«
    »Und was wurde aus dem Kind? Ist es ebenfalls gestorben?«
    »Nein. Es ist ein süßer, hellhäutiger, stämmiger Junge. Gepriesen seien Gottes Werke. Ein Siebenmonatskind, das heil und gesund ist. Die Große Chanum hat ihm eine Amme besorgt, die es stillt. Sie hat das Kind zu sich genommen. Sie sagt, ›Ich stelle mir vor, ich hätte zwei Söhne.‹«
    »Und wie geht es Mansur? Bedrückt es ihn sehr?«
    »Es bedrückt ihn schon, aber, daß es unter uns bleibt, doch nicht so sehr, wie es hätte sein müssen. Es scheint, als würde sich die Große Chanum mehr grämen. Ihren eigenen Sohn läßt sie links liegen und kümmert sich nur um den Sohn der Nebenfrau. Dauernd hält sie das Kind im Arm. Wir waren die ganze Zeit über dort. Entweder ging ich hin, und deine Chanum Djan kümmerte sich um Manuchehr, oder sie ging, und ich blieb mit Manuchehr zurück. Nozhat und Chodjasteh waren Tag und Nacht bei der Großen Chanum.«
    Meine morgendliche Fröhlichkeit verzog sich wie eine sonnenbeschienene Wolke. Ich war über das Unglück einer Frau bekümmert, die ich nie gesehen hatte. Über Mansurs Sorgen. Über die Duldsamkeit und den Großmut von Nimtadj Chanum. Über die Wege des Schicksals und dieses schlimme Ende. Ich wunderte mich über meine Zähigkeit, daß ich trotz der unhygienischen Umstände bei der Abtreibung am Leben geblieben war.
    Rahim kehrte spät in der Nacht nach Hause zurück. Mein Sohnschlief im Zimmer seiner Großmutter am anderen Ende des Hofs. Wir aßen zu Abend, als sie sagte, »Heute war die Frau Amme hier.«
    Sie war wie eine Spionin, die über meine Tätigkeiten Bericht erstattete. Rahim sagte, »Prima, was für eine gute Nachricht. Also ist das Geld eingetroffen.«
    »Laß mich in Ruhe, Rahim. Ich hab keine Lust.«
    »Wann hast du denn Lust?«
    Seine Mutter sagte spöttisch, »Morgens warst du ja ganz munter. Aber seitdem die liebe Amme gekommen ist und die Nachricht von allen Todesfällen der Stadt überbracht hat, bist du wie ausgewechselt.«
    Rahim wandte sich neugierig an mich, »Todesfälle? Nachricht von wessen Tod?«
    Plötzlich hatte ich das Gefühl, daß er womöglich nicht ungern vom Tod meines Vaters gehört hätte. Er wußte, daß ich in diesem Fall einen angemessenen Anteil vom Erbe erhalten würde. Ich sagte, »Ashraf, Mansurs Frau«, und brach in Tränen aus.
    Er sagte, während er jedes Wort einzeln betonte, »Oho… o… und ich dachte, es wäre Gott weiß was passiert! Die… zweite… Frau… deines… Cousins… stirbt bei der Geburt. Du hast sie doch niemals gesehen. Wozu Trübsal blasen? Jährlich sterben Tausende bei der Geburt. Mußt du um alle trauern?«
    Ich sagte tadelnd, »Rahim, sie war eine junge Frau. Schließlich zeichnet sich die Menschheit durch Menschlichkeit aus.«
    Spöttisch sagte er, »Pah… so ist das also! Wie kommt es, daß damals, als du dir dein eigenes Kind hast wegmachen lassen, keine Menschlichkeit gefragt war?«
    Seine Mutter sagte böse, während sie mir im Sitzen den Rücken zeigte und mit ihrem Hinterteil wackelte, »Wallah, das meine ich auch.«
    Der Vulkan in Rahims Herz, den ich für erloschen hielt, brach durch die äußere Asche, »Du gehst… du gehst und treibst dein eigenes Kind ab, mein Kind, ohne mein Wissen und ohne meine Erlaubnis, und kommst dann und vergießt für Ashraf Chanum Krokodilstränen? Bist du etwa ein Mensch? Wen versuchst du hier für dumm zu verkaufen?…«
    Ich sagte, »Das war kein Kind. Es war ein Klumpen Blut. Ich ließ es abtreiben, weil ich meine Gründe hatte.«
    »Du hattest deine Gründe? Sag mir doch bitte, welche, zum Beispiel?«
    Meine Schwiegermutter sagte, »Mein Lieber, der Grund ist, daß sie sich vergnügen will. Damit sie sich jeden Morgen schminken und sich herausstaffieren kann. Daß du dich abrackerst. Daß ich sie bedienen und sie sich als Herrin des Hauses aufspielen und anordnen kann, ›Sieh sie nicht an. Sprich nicht mit ihr. Heirate Koukab nicht. Wehe, wenn du einer anderen Frau ein Kind anschaffst!‹ Aber selber läßt sie sich dein Kind wegmachen, um frei zu sein. Damit sie, sobald etwas vorfällt und du an ihr etwas aussetzt, ihren Sohn an der Hand nehmen und schnurstracks nach Hause zu

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