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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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einen Stutzer verwandelt. Er trug einen Hut und einen Anzug mit Weste. Er hatte sich einen Schnurrbart wachsen lassen. Er strich sich Pomade ins gescheitelte Haar. Sein Aussehen erschien mir lächerlich. Hunderte Male spazierte er vor dem Spiegel auf und ab. Selbst nach einem Monat redeten wir kaum miteinander. Ich wunderte mich. Weshalb machte er mir keine Vorwürfe? Weshalb gab es kein Zeter und Mordio? Er war mit sich beschäftigt. Er bewunderte sich im Spiegel und erwartete offensichtlich, daß ich auf irgendeine Weise ebenfalls Bewunderung für ihn äußerte. Mittlerweile wurde mir jedoch vom Anblick der lächerlichen Visage dieses gewöhnlichen und beschränkten Mannes übel. Ein Mann, der kein Urteilsvermögen besaß und keine Würde. Und was seinen Charme betraf, falls je die Rede davon gewesen sein sollte, so wirkte er nicht mehr auf mich. Mittlerweile erschien mir ein gepflegter Mann als Mann. Ein Mann, der Charakterstärke besaß, gebildet und gelehrt war. Wie mein Onkel, mein Vater, wie Mansur und Ata od-Doules Sohn, den ich Närrin abgewiesen hatte – was hatte ich mir da nur eingebrockt. Inzwischen sehnte ich mich nach einem Mann, der großmütig und strebsam war. Einem Mann, der sanftmütig und mitfühlend war und der einen beschützte. Einem, der die Schmerzen linderte, an den man sich anlehnen konnte. Inzwischen ließ ich mich nicht mehr von einem schönen Gesicht und einer stattlichen Erscheinung täuschen. Ich suchte nach einem Menschen. Rahim begriff nicht, wie und weshalb er in meiner Achtung gesunken war, und es kümmerte ihn auch nicht. Und für mich spielte ebenfalls keine Rolle, ob und wie er existierte.
    Eines Morgens wachte ich auf, munter und erfreut, daß mein Plan erfolgreich gewesen war. Ich zog mir ein gutes Kleid an undschminkte mich. Strich mir Antimon auf die Lider und legte Rouge auf. Ich hatte so lange getrödelt, bis Rahim endlich fortgegangen war. Meine Schwiegermutter fragte, sobald sie mich sah, »Heute scheinst du ja prächtig gelaunt zu sein! Was ist denn geschehen?«
    »Nichts, ich bin nur guter Laune.«
    »Weshalb?«
    »Nichts, einfach so.«
    »Schmiedest du wieder Pläne?«
    Es klopfte an der Tür. Die Amme war gekommen. Obwohl sie sich um ein Lächeln bemühte, machte sie doch ein Gesicht, daß mir das Herz in die Knie sank. Unwillkürlich rannte ich barfuß die Stufen hinunter und überschüttete sie mit Fragen.
    »Liebe Amme, wo warst du? Was ist geschehen? Lüg nicht. Ich merke es an deinen Augen. Ist irgend etwas mit meinem Agha Djan? Mit Chanum Djan? Was sonst? Ich weiß, daß irgend etwas vorgefallen ist. Sag schon, schnell.«
    Die Amme sagte, »Verflucht sei der Sheitan. Beiß dir auf die Zunge, Mädchen. Weder deinem Agha Djan ist etwas geschehen, noch deiner Chanum Djan. Nichts ist passiert. Willst du mir nicht einen Tee anbieten?«
    Sie setzte sich und trank ihren Tee. Ich war außer mir vor Sorge. Sie legte mein Geld, das sich einen Monat verspätet hatte, mit beiden Händen vor mich hin. Ich war nervös.
    »Du mußt entschuldigen, daß es sich verspätet hat. Wir waren sehr beschäftigt.«
    Ich sagte, »Amme, ich ertrage es nicht mehr. Du bringst mich noch um! Sag endlich, was ist geschehen?«
    Sie senkte den Kopf und zeichnete die Blumen des Teppichs nach. »Was soll ich sagen, Mahbube? Es wird dich bedrücken… aber, aber, Ashraf Chanum…«
    »Ashraf Chanum? Mansurs Frau? Was ist mit ihr? Sag’s endlich!«
    »Sie ist bei der Geburt gestorben.«
    Mit dem Zipfel des Kopftuchs wischte sie sich ihre Tränen fort. Meine Schwiegermutter und ich starrten sie an. Unwillkürlich wischte ich mir mit der Hand den Lippenstift von den Lippen. »Sie ist bei der Geburt gestorben? Was soll das heißen?«
    »Im siebten Monat kamen die Wehen, so füllig war sie geworden. Sie aß und schlief nur, Gott hab sie selig. Außerdem war sie kleinwüchsig.Zum Schluß glich sie einem Faß. Ihre Arme und Beine waren wie Kissen angeschwollen. Wenn man sie berührte, dellte sich die Stelle ein und färbte sich weiß. Es dauerte, bis sie sich wieder glättete. Kein Schuh paßte ihr mehr. Zuletzt trug sie ein Paar von Mansur Aghas Schuhen. So sehr man ihr riet, ›Iß weniger, mäßige dich, geh umher, damit du leichter entbindest‹, sie hörte nicht darauf. Vor vierzig oder fünfzig Tagen bekam sie plötzlich die Wehen. Im siebten Monat setzten die Blutungen ein. Sie litt drei Tage und Nächte. Mansur Chan brachte ihr jeden Arzt und jedes Medikament, das es in der Stadt gab. In den

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