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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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suchte ihn auf, nur aus Angst vor Rahim. Der Arzt gab mir ein paar Kräuter und unwirksame Medikamente. Rahims Mutter war bei mir. Sie war mitgekommen, um sicherzustellen, daß ich zum Arzt ging. Sie steckte mein Rezept ein und wachte jeden Abend darüber, daß ich die Medikamente einnahm. Sie setzte sich vor mich hin und sah zu, wie ich sie herunterschluckte. Gezwungenermaßen schluckte ich sie und betete, sie möchten nicht wirken, sie möchten nutzlos sein. Was sie auch waren. Die Hühnerfeder hatte Wirkung gezeigt. Meine inneren Organe waren zusammengewachsen. Täglich hundert Mal dankte ich Gott. Rahim und seine Mutter waren wütend und enttäuscht.
    Die Amme kam. Gekränkt sagte ich, »Liebe Amme, du bist schon wieder zu spät gekommen. Ich hatte schon Löcher in die Tür gestarrt.«
    »Du ahnst nicht, mein Kind, was für eine gute Nachricht ich habe.«
    »Was ist geschehen? Sag schon.«
    »Es ist Chodjastehs Hochzeit.«
    Ich sprang vor Freude auf. Die Last, die mich sechs Jahre lang bedrückt hatte, war von mir abgefallen. Chodjasteh hatte nicht mehr unter meiner törichten Liebe zu leiden.
    »Wer? Wer? Wie denn?…«
    »O weh! Halt still, Mädchen, damit ich es dir erzählen kann.«
    Ich umarmte die Amme und küßte sie heftig ab.
    »Ach, du schnürst mir ja die Luft ab, Mahbube. Ich selbst habe Chodjastehs Hochzeit angestiftet.«
    »Du? Wie denn?«
    Sie setzte sich und begann wie eine Mutter, die ihrem Kind ein hübsches Märchen erzählen will, sich schmatzend die Lippen anzufeuchten, »Also, das kam folgendermaßen. Ich wurde krank und lag auf der Nase. Ich hustete. Ich kam um vor lauter Husten. So sehr mich deine Chanum Djan zu kurieren versuchte, es hat nicht geholfen. Schließlich hat meine liebe Chodjasteh, Gott segne ihre hübsche Gestalt, gesagt, ›Chanum Djan, so geht es doch nicht. Meine liebe Amme geht zugrunde. Ich werde sie ins Krankenhaus bringen.‹ Sie nahm mich an der Hand. Ich bin aufgestanden und habe mich gewaschen. Wir sind zu einem Krankenhaus gefahren. Ich weiß nicht mehr, wo es lag. Da war ein Arzt, mein Kind, du glaubst nicht, wie höflich und gutaussehend. Sein Anblick war eine Wonne. Chodjasteh blieb vor Staunen die Spucke weg. Er war erst kürzlich aus Europa zurückgekehrt. Als er mich das erste Mal untersuchte, stand Chodjasteh draußen vor dem Zimmer. Er gab mir die Medizin und sagte, ›Mütterchen, es wird dir bald besser gehen. Geh in Frieden.‹ Aber als er Chodjasteh sah, die den Gesichtsschleier hochgeschlagen hatte – du weißt doch, daß sie mit dem Tchador das Gesicht nicht richtig verhüllt –, sagte er zu mir, »Chanum, setzen Sie sich, damit ich Sie noch einmal gründlich untersuche, um sicherzugehen…‹«
    Die Amme und ich lachten. Sie fuhr fort, »Ich weiß nicht mehr, was er dann sagte, weil Chodjasteh ihn auf Französisch fragte. Offenbar erkundigte sie sich nach meinem Zustand. Dann haben sie eine Weile in der fremden Sprache miteinander gesprochen. Kurz und gut, der Herr Doktor hat sich bis über beide Ohren in sie verliebt. Er sagte, ›Kommen Sie nächste Woche wieder.‹ Und wir sagten, ›Wird gemacht.‹«
    »Und dann?«, fragte ich.
    »Nichts, in der nächsten Woche sind wir wieder hingegangen. Abermals sagte er, ›Kommen Sie nächste Woche wieder.‹ Wieder sind wir hingegangen. Am Ende habe ich zu Chodjasteh Djan gesagt, ›Mein Kind, weißt du was? Ich komme nicht mehr mit. Geh duselber hin. Mir geht es, wallah, wieder gut, aber der Herr Doktor hat mir das Thermometer so oft unnötig in den Mund gestopft, daß mein ganzer Mund wund ist. Beim letzten Mal fragte der Doktor Chodjasteh plötzlich, ›Erlauben Sie, daß ich bei Ihrem Vater vorspreche?‹ Chodjasteh antwortete, ›Ich muß meinen Vater fragen.‹ Unterwegs sagte ich zu ihr, ›Chodjasteh Djan, es scheint, du hättest dich ebenfalls in ihn verguckt.‹ Sie sagte, ›Ja, liebe Amme. Als ich ihn sah, erschien er mir wie ein Engel! Aber wenn mein Agha Djan nein sagt, werde ich mich fügen. Ich will ihm nicht wieder das Herz brechen. Wie…‹ »Die Amme biß sich auf die Lippe.
    »Sag, liebe Amme, wie wer? Wie ich? Sie hat recht. Es kränkt mich nicht. Eine vernünftige Bemerkung ist doch nicht kränkend.«
    »Ja, mein Kind. Sie sagte, ›Dieser eine Kummer genügte für alle Zeiten.‹ Schließlich ist der Herr Doktor gekommen, und sie haben sich mit ihm besprochen. Dein Vater ist ja aus Freude über diesen Schwiegersohn fast wieder jung geworden. Der junge Mann hat die Herzen der

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