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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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zur Rückkehr übriggelassen. Nun blieb mir kein anderer Ausweg. Der Kummer wallte in meinem Herzen auf und stieg mir in die Kehle. Ich zauderte. Ich spürte die herbstliche Kälte. Ziellos blickte ich links und rechts. Ehe ich es mir anders überlegen konnte, packte meine Hand, scheinbar ohne einen Befehl des Gehirns, den Löwenkopf und klopfte ein Mal.
    Die Tür öffnete sich unverzüglich. Ein junger Mann öffnete sie.Er trug einen Anzug und eine Pahlavi-Kappe auf dem Kopf. Ich vermutete, daß es Hadi war, Esmat Chanums Sohn. Offensichtlich hatte er die Absicht, außer Haus zu gehen. Ich hatte mein Gesicht völlig verhüllt. Ich sagte, »Salaam.« Meine Stimme klang so leise und traurig, daß ich mich selbst wunderte. Das war nicht die Stimme, mit der ich am Morgen gesprochen hatte.
    »Salaam. Was wünschen Sie?«
    »Ich habe mit Esmat Chanum zu tun.«
    »Ihr werter Name?«
    »Ich… ich… bin Bassir ol-Molks Tochter. Bitte richten Sie Esmat Chanum aus, es sei Mahbube.«
    Er zog die Tür auf und sagte verlegen, »Entschuldigen Sie. Ich hatte Sie nicht erkannt. Bitte treten Sie ein. Betrachten Sie es als Ihr eigenes Haus.« Er trat beiseite. Der Hof war sauber und hell. Ich trat ein. Er schloß die Tür hinter mir und sagte, »Ich gehe sofort meiner Mutter Bescheid sagen.«
    Er tat ein paar Schritte und verschwand links durch eine Tür. Ich sah mich im Hof um. Es schien, als sei ich unversehens aus einer lärmenden Arena in die Stille eines Klosters eingetreten. Als hätte ich den Basar der Kupferschmiede durchschritten und eine abgeschiedene Bibliothek betreten. Wie ruhig, wie angenehm. Als würde das Gebäude an sich schon mit seinen Steinen, Ziegeln und Fenstern Besonnenheit ausstrahlen. Würde, Beschaulichkeit und Gediegenheit.
    Der kleine Hof war sauber und gepflegt. Er war mit Backsteinen gepflastert. In der Mitte befand sich wie in allen Häusern ein kleines rundes Becken. Linkerhand hatte sich Weinlaub an einem Spalier vor der Mauer üppig ausgebreitet. In einem Winkel des Gärtchens standen ein paar entzückende Chrysanthemenbüsche – im Gegensatz zu meinem eigenen Haus, in dessen Gärtchen Rahim kein einziges Mal etwas angepflanzt hatte. Ich hatte es ihm hundert Mal gesagt, doch es war zwecklos. Dafür war er nicht empfänglich. Mit Schönheit und Anmut hatte er nichts im Sinn.
    Mir gegenüber zogen am Ende eines ein Meter breiten Eiwans, der durch eine Treppe vom Hof getrennt war, drei grüne Türen mit quadratischen Fenstern, die von innen mit einfachen weißen Vorhängen geschmückt waren, die Blicke auf sich. Die Vorhänge waren in der Mitte gerafft, als hätte man die Spitzen zweier Dreiecke aufeinandergesetzt.Die Sonne fiel durch die Blätter des Weinstocks, und ihre Strahlen ließen Türen und Fenster erglänzen. Alles wirkte sauber und wie frisch geputzt. Im Haus war es so still, daß ich im Stehen eingeschlafen wäre, wenn Esmat Chanum später gekommen wäre. Sie kam jedoch und hinter ihr kam Hadi. Esmat Chanum hatte mich bis zu jenem Tag nicht gesehen. Sie hatte außer meinem Vater keinen von uns gesehen. Ich überlegte mir, wie sie aussehen mochte. Beim Anblick ihrer Gestalt beruhigte ich mich. Sie war groß und mager. Sie erschien mir viel älter als meine Mutter. Ich weiß nicht, ob wegen des Alters oder wegen des schweren Schicksals. Sie hatte schmale Lippen, auf denen ein schüchternes Lächeln lag. Eine kleine und schmale Nase, nicht sehr große Augen und dunkles Haar, das unter ihrem Kopftuch zu sehen war. Sie hatte ihre schmalen Brauen hochgezogen, und ihre Augen schauten groß. Es war nicht zu erkennen, ob aus Sorge oder aus Verständnis. Ihr Gesicht war hell und voller Sommersprossen. Die Haut unter ihren Augen war faltig. Insgesamt machte ihr Gesicht einen harmlosen und anspruchslosen Eindruck. Ein normales Gesicht. Eines, dessen Besitzerin bemüht war, ihrem Beschützer zu dienen. Nicht aus Berechnung und wegen des persönlichen Vorteils, sondern lediglich, um ihm eine Freude zu bereiten. Sie gehörte zu der Sorte Mensch, die mit allen mitfühlen. Zu denen, die man nicht nicht mögen konnte. Sobald sie mich sah, kam sie mir in der Begrüßung zuvor, »Salaam, Mahbube Chanum. Weshalb stehen Sie hier? Bitte, treten Sie ein. Herzlich willkommen.« Sie öffnete die mittlere Tür, die in ein kleines, adrettes Wohnzimmer führte, in dem preiswerte Teppiche lagen und ein paar schwere Möbel standen. Es war offensichtlich, daß das Zimmer selten genutzt wurde. »Entschuldigen Sie, Mahbube

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