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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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erfrischend in den Garten ergoß und schäumend am anderen Ende hinausfloß. Wir kletterten die Bäume hinauf. Wir stiegen auf einen Esel. Nozhat mit ihrem fülligen Körper lief uns keuchend hinterher, und wir kugelten uns vor Lachen. Die Männer waren auch spazierengegangen und würden bis zum Mittag nicht zurückkehren. Ich verknotete nach allgemeinem Drängen vor aller Augen Grashalme. Den ersten lachend und in der Hoffnung auf einen Ehemann, den zweiten betrübt aus Sehnsucht nach einem Kind.
    Nachmittags erschien – kaum hatte man Salatblätter und Ssekandjebin, gekochte Pferdebohnen und Ash Reshte aufgetischt, die Männer spielten Backgammon, und Dadde Chanum sang zum Rhythmus des Tamburins, ›Steig nicht auf den Baum, er zerkratzt dir die Beine, er zerreißt dir das Kleid‹ – Mansurs schwarzer Chevrolet auf der Bildfläche. Mansur kam mit seinen beiden Söhnen, die laut Chodjasteh wie Opferlämmer neben ihm her liefen, heranspaziert.
    Er begrüßte alle und setzte sich. Kaum hatte er sich gesetzt, wurden alle, Mann wie Frau, ruhig und hörten auf zu scherzen und sich zu necken. Er war weder mürrisch noch übellaunig, wirkte aber, wie Nozhat stets sagte, steif wie ein Stockfisch. Chodjasteh knurrte Nozhat und mir leise ins Ohr, »Wo ist denn der hergekommen?«
    Nozhat murmelte, »Der ist gekommen, um uns sein Auto vorzuführen«, und sie lachte lautlos.
    Ihr fülliger Leib bebte vor Lachen und reizte Chodjasteh und mich ebenfalls zu lachen. Unsere Mutter warf uns einen scharfen Blick zu und erhob sich, um Mansur die Salatblätter hinzustellen. Er hatte sich auf die Kante der Holzliege gesetzt, die ein Kelim bedeckte, hatte die Beine übereinandergeschlagen und war mit Chodjastehs Ehemann, dem Doktor, ins Gespräch vertieft. Ich schämte mich vor ihm, doch er beachtete mich gar nicht. Offenbar dachte er genau wie ich an sein trauriges Los. Mansur war zugegebenermaßen ein gutaussehender Mann. Elegant und umgänglich. Seine Umgangsformen waren tadellos. Ganz nach Art der Westler. Doch mir war er vollkommen gleichgültig. Ich wußte nur allzu gut, daß er sich noch über mich ärgerte und Rachegefühle empfand. War er etwa nur gekommen, um mir seinen Glanz und seine Herrlichkeit unter die Nase zu reiben?
    Ich erhob mich von meinem Platz und rief nach der Amme. Ichging ein paar Schritte mit ihr und sagte, »Liebe Amme, ist noch Ash übrig, damit du ihn Agha Mansurs Chauffeur bringen kannst? Bring ihm auch einen Tee.«
    Statt meiner Mutter, die müde war und es vorzog, sich auszuruhen, hatte ich zu Hause die Führung des Haushalts übernommen. Sie überließ mir die hausfraulichen Pflichten gern und war beruhigt. Die Amme ging. Ich blieb stehen, sah auf den Garten und war in Gedanken versunken. Manuchehr spielte mit den übrigen Kindern Fangen und strich um meine Beine. Es schien, als würde ich träumen. Die gewohnten Gedanken übermannten mich, und ich verging aus Kummer über die Vergangenheit und aus Sorge über die Zukunft. Nein, so konnte es nicht weitergehen. Ich mußte zur Namuss-Schule gehen und eine Prüfung ablegen, studieren und dann Lehrerin werden. Ich mußte mich irgendwie beschäftigen. Ich kam mir überflüssig vor. Ich mußte etwas tun, damit ich vor Ungewißheit nicht verrückt wurde. Ja, ich wollte Lehrerin werden.
    Wieder umkreiste mich Manuchehr. Er packte mich am Rock und lugte lachend nach seinen Spielkameraden. Ungeduldig zog ich seine Hand von meinem Rock und sagte, »Manuchehr, geh woanders spielen. Ich habe keine Lust.« Und ich wandte mich um.
    Erst in dem Augenblick sah ich ein kurzes Aufblitzen. Ein Aufblitzen in Mansurs Augen, der mich vom Scheitel bis zur Sohle musterte. Ernst und eindringlich. Es dauerte nur einen Augenblick. Dann wandte er sich ab. Die Zeitspanne war so kurz, daß ich glaubte, mir etwas eingebildet zu haben. Dennoch sank mir das Herz in die Knie. Nicht aus Liebe zu Mansur, sondern weil ich mich angstvoll fragte, was Mansur an diesem Tag in unseren Garten geführt hatte. Bis zur Abenddämmerung und zur Rückkehr war uns beiden unbehaglich zumute. Mansur ebenso wie mir. Bis zur Dämmerung saß er stocksteif da, wie Nozhat es nannte, und sprach nur ein paar Worte. Er lächelte nicht einmal. Die Angelegenheit war viel zu ernst. Meine Mutter fragte höflich, um auch ein Wort mit ihm gewechselt zu haben, »Wie geht es Nahid Djan?«
    Plötzlich hellte sich Mansurs Gesicht auf. Als sei die Sonne aufgegangen, erschien ein Lächeln auf seinen Lippen und er antwortete,

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