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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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»Gut, sehr gut. Sie ist ein süßes Mädchen geworden. Sie küßt Ihre Hand.«
    Meine Mutter sagte, »Ich küsse ihr reizendes Gesicht.«
    Chodjasteh setzte die Worte meiner Mutter fort, »Sie ist wirklich reizend. Ich habe noch kein so hübsches Kind gesehen.«
    Wieder fuhr mir vor Kummer ein Stachel ins Herz. Grundlos wurde ich auf Mansur wütend. Ich warf ihm einen Blick zu, der sich mit seinem kühlen, gleichgültigen Blick kreuzte. Hätte ich die Kraft besessen, hätte ich mit meinen Augen Kanonensalven auf ihn abgefeuert. Mansur bemerkte es sehr wohl, starrte mir jedoch weiterhin gleichgültig in die Augen.
    Der Sommer verging ebenso wie der Herbst, und es wurde Winter. Während dieser Zeit sah ich ihn dann und wann, im Haus meines Onkelchens oder zu Hause, bei Nozhat oder bei meinen Cousinen. Doch jener heimliche Blick wiederholte sich nicht mehr, und ich war darüber erfreut. Vielleicht hatte ich mich auch von Anfang an geirrt. Es schickte sich nicht. Diese Blicke schickten sich nicht. Besser, es gab sie nicht. Sein bewundernder Blick hatte mir, obwohl er nur flüchtig war, gefallen. Wie alle Frauen genoß ich es, die Bewunderung anderer zu erregen und ihr Lob zu hören. Doch wenn ein Mann glaubte, daß die Freude über diese Bewunderung möglicherweise Nachgeben bedeutete, irrte er sich gewaltig. Die Liebe hatte mich einmal gefangengenommen und zugrunde gerichtet. Danach erschien sie mir wie eine Kammer meines Herzens, die sich geschlossen hatte. Oder vielleicht war ich älter und vernünftiger geworden. Vielleicht hatte die Natur ihre Pflicht mir gegenüber erfüllt. Hatte ihren Lauf genommen und mich dann mir selbst überlassen. Ich sehnte mich danach, mich noch einmal zu verlieben, in jemanden wie zum Beispiel Mansur. Mit derselben Begeisterung und Leidenschaft, mit derselben Hingabe. Ach, würde ich doch nur wieder krank werden, hilflos und wahnsinnig vor Liebe. Aber ich wußte, es war nicht mehr möglich. Es war vorbei. Ich hatte Schiffbruch erlitten, wie mein Vater sagte, und zwar übel.
    Es regnete und schneite durcheinander. Ich kehrte in Hut und Mantel und mit dem Regenschirm in der Hand nach Hause zurück. Ich stieg die Stufen hinauf und zog den Mantel aus. Den Schirm gab ich der Amme. Sie war unglücklich und verhielt sich nicht wie gewohnt. Sie wollte etwas sagen, konnte aber nicht. Vermutlich hatte meine Mutter es ihr verboten. Die Lichter im Flur brannten. Ich fragte, »Wo ist Manuchehr, Frau Amme?«
    »In seinem Zimmer. Er macht Hausaufgaben.«
    Meine Mutter erschien. Mit leiser Stimme sagte sie, wobei sie mich zu sich winkte, »Komm, Mahbube, ich hab mit dir zu tun.«
    »Was ist los, Chanum Djan?«
    »Mansur Agha sitzt seit heute nachmittag hier und sagt, ›Ich habe mit Mahbube persönlich zu tun. Ich möchte etwas mit ihr besprechen.‹«
    »Mit mir?«
    »Das sagt er.«
    »Wo ist er jetzt?«
    »Im Fünftüren-Zimmer.«
    »Kommen Sie doch auch herein, Chanum Djan.«
    »Nein. Geh du allein und sieh, was er mit dir zu tun hat. Wozu brauchst du mich?«
    Meine Mutter, meine Amme und ich ahnten etwas. Meine Mutter lächelte der Amme mit den Augen zu.
    »Salaam.«
    Er stand mit dem Rücken zur Tür und schaute aus dem Fenster. Er wandte sich ruhig um. Steif und formell. Die Hände hatte er auf dem Rücken verschränkt.
    »Salaam…«
    »Sie ahnen nicht, wie es draußen schneit!«
    »Wie sollte ich es nicht wissen? Ich sehe es doch.«
    Ich lächelte. Ich hatte etwas Dummes gesagt. Ich suchte nach einem Thema, um das Schweigen zu brechen. Das Schweigen war gefährlich. Es würde ihn vertrauter werden lassen. Es würde ihn ermuntern, vertraulich zu werden und das zu sagen, was ich nicht hören wollte. Ich ging zum Ofen und hielt die Hände darüber. Ich hörte das Brennholz knistern. »Haben Sie etwas gegessen?«, fragte ich.
    »Ja, ich habe ausgiebig gegessen.«
    Ich ging zur Tür und verlangte mit lauter Stimme nach Tee. »Bitte trinken Sie noch einen Tee. So geht es doch nicht. Ich für meinen Teil erfriere vor Kälte. Ein Tee paßt herrlich zu diesem Wetter.«
    Er sagte, »Was immer Sie befehlen, ich gehorche.«
    Ich sah ihm in die Augen. Sie blickten kühl und ernst. Doch seine Worte waren vielsagend. Verwirrt sagte ich, »Warum stehen Sie denn? Bitte setzen Sie sich doch.«
    Ich zog einen Stuhl an den Ofen und setzte mich. Mitten in meinerBeklommenheit und Verblüffung zog er einen Stuhl an die andere Seite des Ofens und setzte sich ebenfalls. Die Amme brachte Tee und bot ihn ihm an. Ich

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