Der Morgen der Trunkenheit
Mal genug. Vielleicht war es auch mein Pech, daß ich dem nichtswürdigen Schreiner Rahim begegnen mußte und beim ersten Anblick mein Herz an ihn verlor. Wie ein geprügelter Hund trottete ich ihm hinterher. Aber wenn ich dich sehe, Mansur, so besonnen, großmütig und würdevoll, dann erscheinst du mir wie ein Bruder. Daß es dir bloß nicht mißfällt!… Aber ich begehre dich nicht. Weshalb sollte ich dann deine Frau quälen? Ich habe es am eigenen Leib gespürt. Ich weiß, was es bedeutet, wenn man einen Mann liebt, der sich mit einer anderen Frau vergnügt. Wie man sich dabei fühlt! Wie es schmerzt. Ich weiß es nur allzu gut. Abgesehen davon weiß ich, wie sehr Nimtadj Chanum dich begehrt. Weshalb sollte ich ihr das Herz brechen? Bei Gott, es wäre eine Sünde.«
Mansur setzte sich und sagte sehr sanft und liebevoll, »Ich weiß, daß du mich nicht liebst. Ich erwarte es auch nicht. Aber du bist es falsch angegangen. Du dachtest, Eheleben sei gleichbedeutend mit blinder Liebe und blinde Verliebtheit gleichbedeutend mit ewigem Glück. Als du dann merktest, daß Rahim nicht der Abgott war, den du dir in deiner Phantasie erschaffen hattest, wurde dir alles zuwider. Oder? Aber so ist es nicht, Mahbube. Das Glück scheut blinde Verliebtheit wie der Teufel das Weihwasser. Du hast schon einmal einen Fehler begangen, tu es nicht noch mal. Solltest du einen Fehler an mir entdecken, weis mich ab, andernfalls werd meine Frau. Laß die Zuneigung diesmal ganz sacht in dein Herz einsickern. Ich erwarte nicht die Liebe und Zuneigung, die du für Rahim empfunden hast. Aber laß mich dir dienen. Laß mich deinen Kummer lindern. Laß mich dein Ehemann sein. Dann kommt die Zuneigung von selbst. Liebe ist wie Wein, Mahbube. Du mußt sie jahrelang hegen und pflegen, damit sie nach und nach zu ihrem wahren Geschmack heranreift. Damit sie berauschend wird. Andernfalls ist es wie bei hohem Fieber, es klingt rasch ab. Gib mir eine Chance. Vielleicht gelingt es mir, dich glücklich machen.«
»Du hast recht, Mansur. Was für ein hohes Fieber es war, das mich ins Verderben stürzte. Ich sagte mir, ›O Gott, weshalb quälst du mich? Was für eine Sünde habe ich begangen, daß du mir zürnst? Daß ich Rahim begehre und nicht Mansur mit all seinen Vorzügen. Weshalb…‹«
Er fiel mir ins Wort, »Kreide es nicht Gott an, Mahbube. Weshalb sollte Er es auf ein fünfzehnjähriges Mädchen abgesehen haben? Das war das Werk des Teufels. Die Macht der Natur. Es ist das Geheimnis der Schöpfung, das Bassir ol-Molks Tochter am Kragen packt, zu einer Schreinerei schleift und sich in einen jungen, heißblütigen Schreinerlehrling verlieben läßt. Das habe ich erst später begriffen. Anfangs, als du seine Frau wurdest, damals, als du meine Würde mit Füßen getreten hast und ich in meinem Stolz zutiefst verletzt war, sagte ich mir, ›Sieh nur, wem zuliebe sie mich verkauft hat!‹ Aber nach längerem Nachdenken sagte ich mir, man muß Leili mit den Augen Madjnuns sehen. Ich spucke auf dich, grausame Natur. Daraufhin habe ich Nimtadj geheiratet. Meine Mutter sagte, ›Tu’s nicht, Mansur, tu dir das nicht an.‹ Ich sagte, ›Chanum Djan, ich begehrte Mahbube, aber es sollte nicht sein. Jetzt, wo es so ist, heirate ich nur Ihretwegen. Was ändert es für Sie, wen ich heirate, ob sie hübsch ist oder häßlich?‹ Als wollte ich mir ins eigene Fleisch schneiden. Es ist eine lange Geschichte. Meine Mutter sagte, ›Mahbube soll verflucht sein.‹ Ich erwiderte, ›Chanum Djan, verfluchen Sie sie. Verfluchen Sie sie nur, damit es mich noch härter trifft. Gott hat sie verdammt, so daß ich unglücklich geworden bin. Nun verfluchen Sie sie nur immer weiter!…‹«
Ich sagte, »Mansur, hör auf damit.«
»Nein, das war erst der Anfang. Du bist doch unglücklich, oder? Du sagst, du könntest dich, so sehr du dich auch bemühst, in niemanden mehr verlieben. Dann werd doch meine Frau. Mach wenigstens mir eine Freude. Komm und tu ein gutes Werk, Mahbube. Ich werde dich heiraten, ob du willst oder nicht. Beim letzten Mal habe ich einen Fehler gemacht. Ich war jung und töricht. Ich spielte den unglücklichen Helden. Ich hätte in dem Augenblick, in dem du sagtest, du begehrtest mich nicht, nicht nachgeben sollen. Ich hätte dich unter allen Umständen aufs Notariat bringen und heiraten sollen. So wäre es für uns beide von Vorteil gewesen.«
Ich müßte lügen, wenn ich behaupten wollte, daß ich seine Worte und seine Bewunderung nicht genoß.
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