Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
Vom Netzwerk:
gehe nur für Chanum Djan eine Kerze anzünden.«
    »Ja, mein Kind, komm schnell zurück. Es schickt sich nicht für ein Mädchen, bei Anbruch der Dämmerung allein unterwegs zu sein.«
    »Ich bin gleich zurück.«
    Ich wartete ab, bis sich Chodjasteh wieder vor Mutters Zimmertür stellte. Wenn sie mich sähe, würde sie sich an meine Fersen heften. Vorsichtig verließ ich die Vorratskammer und lief in mein Zimmer. Ich nahm den Blütenzweig und versteckte ihn unter meinem Tchador, ängstlich darauf bedacht, daß mich der Blütenduft nicht verriet. Glücklicherweise waren alle viel zu sehr in Anspruch genommen und beschäftigt, als daß sie sich um mich kümmern konnten. Im Laufschritt erreicht ich die Gasse. Dort verlangsamte ich meinen Schritt. Je langsamer ich ging, desto schneller klopfte mein Herz. Als ich die Biegung erreichte, fehlte mir die Luft zum Atmen. Oder es gab sie, doch war sie zu dicht, als daß ich sie hätte einatmen können. Als ob ganz Teheran den Blütenduft durch meinen Tchador hindurch wahrnähme. Als ob mich der gesamte Basar beobachtete. Die erste Gasse, die zweite, an der dritten bog ich ab. Das Geräusch der Säge. Dieses Mal sägte er die Balken in der Mitte durch. Meine Anwesenheit bemerkte er überhaupt nicht.
    Ich stellte mich an den Eingang des Ladens. Hob meinen linken Fuß rückwärts ein bißchen an und bückte mich. Als wollte ich meinen Schuh richten. Den Blütenzweig trug ich in der Rechten und stützte mich mit der Hand am Türrahmen ab. Als ob ich mich festhielte, um nicht zu fallen. Von außen war der Blütenzweig nicht sichtbar. Nur er konnte ihn im Rahmen seines Ladens sehen. Schließlich hob er den Kopf, um zu sehen, wer den Ladeneingang versperrte, vielleicht wußte er es auch nur zu genau.
    Er sagte: »Salaam.«
    Während ich mir noch an meinem Absatz zu schaffen machte, wandte ich mich ihm zu und sagte: »Salaam.« Ich weiß nicht, wie es mir gelang auszuatmen. Er sah den Zweig in meiner Hand. Ich wartete, bis ein vorbeigehender Mann an der nächsten Biegung verschwunden war. Ich ließ den Blütenzweig fallen und rannte los. Zwei Minuten Stille, dann erneut das Geräusch der Säge. Ich erreichte das Trinkwasserhäuschen. Hob den Gesichtsschleier und zündete in Eile die Kerzen an.
    »Im Namen der Fünf Heiligen, Gott gebe, daß Chanum Djan eine leichte Geburt hat.« Als schämte ich mich vor Gott, fügte ich leise hinzu: »Möge auch ich von meiner Qual erlöst werden.«
    Ich wollte zurückkehren. Im Basar befanden sich noch ein paar Leute. Ich drückte mich herum und wartete, bis alle gegangen wären. Doch ständig kam und ging jemand vorbei. Schließlich erreichte ich den Laden. Ich wollte vorbeigehen, der Basar war sehr belebt.
    »Kleine Dame.«
    Ich blieb wie angewurzelt stehen. Der Blütenzweig lag auf dem Tisch des Schreiners. Ich erschrank. Wehe, wenn Agha Djan ihn hier sähe! Ich war doch wirklich noch ein Kind. Als ob es auf der ganzen Welt nur ein Haus mit Levkojen gäbe. Als ob ich nicht wüßte, daß Agha Djan und sämtliche Hausbewohner sich um die Geburtsschmerzen meiner Mutter kümmerten. Und selbst wenn Agha Djan unbeschäftigt gewesen wäre, hätte er sich niemals die Mühe gemacht, einen Blick in diesen kümmerlichen Laden zu werfen, geschweige denn, daß er diesen Blütenzweig erkannt und ihn mit seiner tugendhaften, wohlerzogenen Tochter in Verbindung gebracht hätte.
    Er ergriff den Blütenzweig: »Gehört der Ihnen?«
    »Nein, er gehört Ihnen.«
    »Wofür?«
    »Als Lohn für den Bilderrahmen.«
    Er lachte, und ich freute mich. Seine Zähne standen fest und weiß in einer Reihe. Als sei sein Gebiß das einzige Problem, daß er es mit Ata od-Doules Sohn nicht hätte aufnehmen können. Ich danke dir, Gott. Wieviel besser als der angesehene und hübsche Sohn der Prinzessin sah doch der Lehrling dieses Schreinerlädchensaus. Oder vielleicht erschien es nur mir so. Er gehörte wahrlich nicht hierher, sondern in einen königlichen Palast. Stille breitete sich aus.
    Ich sagte: »Lassen Sie ihn nicht offen herumliegen.«
    »Wird gemacht.«
    Er bückte sich und legte den Blütenzweig hinter die Balken, so daß er von draußen nicht mehr zu sehen war. Dennoch erschien es mir, als würde sein Duft ihn dem ganzen Basar verraten.
    »Wie heißen Sie, kleines Fräulein?«
    Ich sah mich im Basar um. Wann hatte er sich geleert? Ich wußte es nicht. »Mahbube.« Ich bekam kaum einen Ton heraus. Wenn er es gehört hatte, grenzte es an ein Wunder.
    Wortlos nahm er den

Weitere Kostenlose Bücher