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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Schamhaftigkeit schob.
    An diesem Freier war nicht mehr herumzumäkeln. Wie meine Amme gesagt hatte, er war mein Cousin. Er sah gut aus, hatte studiert und war vermögend – zwar nicht so reich wie Ata od-Doules Sohn, doch fehlte nicht viel – und er war anständig. Nur fünfundzwanzig war er, rund zehn Jahre älter. Er hatte zu seinem Vater gesagt: »Seitdem Mahbube geboren wurde, sage ich mir, das ist meine Frau. Bis jetzt habe ich auf sie gewartet und werde auch weiter warten. Ich will nur sie, schon zu Kinderzeiten wollte ich nur sie.« Obwohl ich ihn, als Cousin, schon öfters gesehen hatte und diese Begegnungen nicht beschränkt wurden, und obwohl das Sprichwort sagt, daß die Ehe von Cousine und Cousin im Himmel geschlossen wird, hatte er kein einziges Mal ein Verhalten an den Tag gelegt, aus dem ich auch nur eine Spur seiner Gefühle hätte erraten können. Vielleicht hatten ihn Ehrgefühl und Familienstolz bestimmt, vielleicht waren es übertriebene Zurückhaltung und Selbstbeherrschung. Oder vielleicht sah er, da er mich schon für sein eigen hielt, keinen Grund, sich zu beeilen und, wie die Alten zu sagen pflegten, sich zu erniedrigen. Jedenfalls hielten es meine Mutter und meine Tante für ein Zeichen seiner Standhaftigkeit und Wohlanständigkeit. So weit ich auch zurückdachte und sein Verhalten durchforschte, konnte ich keinen Schwachpunkt finden. Ich hatte keinen Vorwand mehr. Jedes Mädchen mußte mich um mein Glück beneiden und diese Heirat herbeisehnen. Jedes Mädchen außer mir. In welche Falle war ich da nur getappt!
    Als wir zu Hause ankamen, rannte ich wieder in die Vorratskammer und zog das mühevoll versteckte Stück Papier aus dem unteren Saum des Vorhangs, der hinter der Decke hing, in die das Bettzeug eingewickelt war. Es war ein Vorhang aus hellgrünem Taft, der über und über mit Blumen und Vögeln in Paillettenstickerei verziert war. Mittlerweile jedoch war er, alt, unbrauchbar und hinter dem Bettzeug in der Vorratskammer den Blicken halb entzogen, ein sicheres Versteck, auf das Amme, Mutter und Schwester niemals kommen würden.
    Mein Herz verlier ich, Ihr Gotteskenner und Weisen,
    Weh mir, wenn dies Geheimnis zum Vorschein kommt.
    Erneut küßte ich jenes Stück Papier. Die Wunde, die am Heilen war, brach wieder auf. Durch die Brautwerbung meines Cousins Mansur war sie erneut aufgebrochen. So sehr ich auch suchte, an ihm gab es nun nichts mehr auszusetzen. Was sollte ich an ihm bekritteln? O Gott, was für ein Pech ich hatte! Mein Vater saß draußen vor dem Nebenzimmer und las Nizamis Leili und Madjnun . Die Sonne gewann allmählich sommerliche Wärme. Der Frühling ging dem Ende zu. Manuchehr war ungefähr drei Monate alt. Wie sehr die Sonne in ihrer Färbung wechselte. In unserem Haus erhellte sie durch die Fenster, deren farbenreiche und kostbare Vorhänge mit Klammern zur Seite gezogen waren, sanft und fröhlich das Zimmer voller Teppiche, Blumen und Vasen. Sie betonte die Schönheit der schweren, purpurfarbenen Möbel, hochbeinigen Tische und wohlgestalten Schemel, und ihr Licht verlieh den Seiten von Vaters Buch eine weihevolle, poetische Helligkeit, Inbegriff des Glücks. Wenn du jedoch an der Biegung der Gasse zum Schreinerladen am Eingang des kleinen Basars einbogst, war die Sonne, die kaum so weit vordrang, trunken vor Freude. Verzückt und körperlos glich sie Madjnun und verströmte ihr Licht über der Tür des Madjnun . Eine Aufrührerin, die bewirkte, daß er sich alle Augenblicke aufrichtete, um diese traumhafte Helligkeit zu betrachten. Um den Duft der Winden, die trunken von den Mauern einiger Herrschaftsgärten herabhingen und sich bis dorthin gerankt hatten, einzusaugen. Einen Seufzer auszustoßen und erneut an die Arbeit mit Säge, Hobel, Hammer und Nägeln zu gehen.
    Ich nahm ein sauberes Stück Papier und benetzte es mit einem winzigen Tropfen Parfüm. Ich weiß nicht mehr, welches Parfüm es war. Eines, das mir meine Mutter gegeben hatte, ein teures ausländisches. Es war für die Tage vorgesehen, an denen die Brautwerber kamen. Das Papier bemalte ich rundum mit farbigen Bändern und Blumen und Nachtigallen. Es dauerte ungefähr ein bis zwei Wochen. Ich malte und grübelte, was ich tun sollte. Mein Verstand riet mir, die Finger davon zu lassen, doch der ärmste wußte sowieso, daß er verloren hatte. Wußte, daß ich es nicht konnte. Ich wollte auf meinen Verstand hören und zählte mir Hunderte von Gründen und Argumenten auf. Schwor, daß ich nicht gehen

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