Der Morgen der Trunkenheit
vergingen mit Grübeln. Was sollte ich tun? Wie sollte ich mich entdecken? Wem sollte ich es sagen? Mir fiel keine Lösung ein. Ich konnte keine Vertraute finden. Das Problem war zu groß, als daß ich es mit meinem jugendlichen Verstand hätte bewältigen können. Hundert Mal bereute ich und änderte meine Meinung, und dann wieder, sobald ich Mansurs Name hörte, überfiel Sehnsucht mein Herz. Als stünde der Name Mansur in direkter Verbindung mit dem Gesicht eines Jungen, der in der Schreinerei an der Straße mit der Säge hantierte.
Beim Abendessen füllte sich mein Vater vergnügt seinen Teller mit Safranreis, Kräuter-Choresh und Reiskruste auf und sagte, »Brüderchen hat uns eingeladen.«
Das Herz sprang mir aus der Brust und fiel zu Boden. Ich wurde rot bis über beide Ohren und senkte den Kopf. Auch meine Mutter grinste breit. Heimlich wies sie in meine Richtung und fragte, »Wohin?«
»In den Garten in Shemiran. Dort kann man das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden. Ihr geht Luft schnappen, und Brüderchen, Mansur und ich gehen auf Rebhuhnjagd…«
Meine Mutter sagte lachend, »Agha, Sie haben doch Ihr Wild schon vor Jahren erlegt… Mahbube, warum tust du dir nicht Reis auf ?«
Ich war satt, der Appetit war mir vergangen. Ich hatte das Leben satt. Ich wollte aufstehen und flüchten. Doch wohin? Der Gedankean die Flucht ließ mich erzittern. Lieber ein Ende mit Schrecken. Ich würde es sagen und mich vom Leben erlösen.
Die ganze Nacht hatte ich nachgedacht. Ich war wach geblieben, bis das Licht der Frühe durch die bunten Fensterscheiben farbige Muster auf Wände und Teppiche warf. Dann erst schlief ich ein und stand später auf als üblich. Der Duft von frischem, doppelt gebakkenem Ssangak, von Butter und Käse; das Glucksen des Samowars; das Geklapper der Teegläser und -untersetzer, die man ins Hofzimmer brachte; das Geräusch von Dadde Chanums Schritten, ihr unbekümmertes Gespräch mit meiner Mutter und Manuchehrs Quengeleien weckten mich auf.
Meine Mutter, die Amme und Dadde Chanum waren alle ganz liebevoll. Alle trafen sie Vorbereitungen für die Reise. Und meine Schwester Chodjasteh freute sich über eine Woche Shemiran, das eine Welt für sich war. Zumal es sich bei dem Garten um Onkelchens großen Garten voller Bäume handelte. Nicht wie das Grundstück von Agha Djan in Gholhak, das eher einer ausgedehnten Farm glich, die unter der heißen Sonne die Ebene, so weit das Auge reichte, in ihr grünes Gewand hüllte und uns Tomaten, Gurken und Auberginen zum Geschenk machte. Ein Grundstück, das mein Vater vor kurzem zur Hälfte mit Obstbäumen hatte bepflanzen und umzäunen lassen und auf dem er ein Gebäude errichten wollte.
Onkelchens Garten war ein richtiger Garten. Verwinkelt und mit einem friedlichen kleinen Bach vor dem Gebäude, der beim Eintritt in den Garten noch nicht rauschte. Der Garten stand voller Obstbäume und war überaus idyllisch. Der Geruch der Walnußbäume stieg einem zu Kopf. Die Mandelbäume waren Reihe für Reihe bis ins Unendliche gepflanzt, und wenn sie in Blüte standen, brachten einen ihr Duft und das Summen der Bienen wirklich zum Träumen. Und außerhalb des Gartens, weiter entfernt, die Jagd auf den Abhängen des Elburz-Gebirges.
Ich wusch mir Gesicht und Hände. Dank eines Qanats, der unter unserem Haus verlief, war das Wasser im Becken rein und klar. Da es warm geworden war, wurden morgens die Fenster geöffnet. Es war wie in einer Welt für sich, am Frühstücksgedeck zu sitzen, dem Gegluckse des Samowars zu lauschen und Wasserbecken samt Blumenpracht zu betrachten. Nach dem Frühstück wollte ich unter dem Vorwand, die Tante mütterlicherseits zu besuchen, das Haus verlassen,als sie selbst eintraf. Nach der Begrüßung ging sie geradewegs zu meiner Mutter, setzte sich neben sie, nahm Manuchehr in die Arme und herzte ihn. Als Chodjasteh das Zimmer betrat, war diese an der Reihe, geherzt zu werden. Dann wandte sich die Tante an meine Mutter und sagte: »Nazanin Djan, was wird nun aus meinem armen Sohn? Wie lange noch soll er unverrichteter Dinge herumsitzen? Ich bin heute gekommen, seine Angelegenheit zu regeln.«
Sanft erwiderte meine Mutter, »Schwesterchen, da gibt’s doch nichts zu klären. Ich habe von Anfang an gesagt, daß der Agha findet, solange noch Mahbube im Haus ist, kann man Chodjasteh nicht verheiraten.«
»Nun gut, ich verlange ja nicht, daß wir sie verheiraten. Ich möchte nur, daß wir eine kleine Verlobungsfeier veranstalten, um
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