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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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grüßte ich sie mit gesenktem Kopf, schüchtern und beschämt. Eine Antwort bekam ich nicht. Chodjasteh war zur Vermittlerin zwischen meiner Mutter und mir geworden. Anscheinend hatte sogar Manuchehr schlechte Laune. Er bockte, trank seine Milch nicht und schlief nicht. Wenn er herumquengelte und tagsüber sein Weinen ertönte, wurde auch Mutters Stimme laut.
    »Mein Ärmstes. Seitdem dieses Kind die Milch des Zorns getrunken hat, ist es wie ausgewechselt, solche Schauer hat mir diesesMädchen über den Rücken gejagt. Würde Gott mich doch sterben lassen und erlösen. Was für eine Natter habe ich da an meinem Busen genährt?« Dennoch nahm sie Manuchehr an die Brust und zürnte weiter.
    Fünf, zehn, zwanzig Tage lang war ich eine Gefangene des Hauses. Ich war verzweifelt, verwirrt und voller Leidenschaft. Ich dachte an nichts außer ihn. Die verschlossenen Türen hatten das Feuer in mir noch stärker entfacht. Hatten bewirkt, daß ich keinen anderen Gedanken hegte außer dem an ihn. Versuchte ich mich auf etwas anderes zu konzentrieren, gelang es mir nicht. Und das machte mich wahnsinnig. Ich war ratlos. Jedesmal, wenn ich in die Nähe der Tür des Biruni kam, folgte mir Dadde Chanum unter irgendeinem Vorwand oder meine Mutter rief mich oder die Amme gesellte sich zu mir.
    »Geh ja nirgendwo hin, Mahbub Djan. Dein Agha Djan hat es verboten.«
    »Mach dir keine Sorgen. Wohin sollte ich denn gehen? Ich gehe, um hinten im Garten Blumen zu pflücken. Ich will nach der Vorlage sticken.«
    Tatsächlich war ich sehr geschickt im Sticken. Ich bestickte Tischdecken, daß es alle in Erstaunen versetzte. Veilchen, Rosen und Nelken pflückte ich und zeichnete sie auf dem Stoff ab. Dann betrachtete ich die Blume und stickte sie mit ihren Farben auf. Ich wollte ein kleines Taschentuch besticken. Für jemand, dessen Namen ich sogar insgeheim zu erwähnen mich scheute. Aber nein, ich hatte gehört, daß Taschentücher Entfernung mit sich brachten. Ich würde ihm ein Deckchen für das Kamingitter sticken, damit er es auf die Ablage über dem Kamin legen konnte. Damit er den Spiegel darauf stellen, jeden Morgen hineinsehen und sein ungezähmtes Haar kämmen konnte.
    Mein Vater hatte das Grammofon weggeschlossen. Qamars Schallplatten waren spurlos verschwunden. Kein Zeichen mehr von Leili und Madjnun oder von Hafis’ Gedichtband. O weh, weshalb hatte man sie eingesperrt? Weshalb waren sie in Ungnade gefallen? Sie waren doch Balsam für mein Herz. Was sollte ich denn tagsüber allein und unbeschäftigt im Haus tun? Wie ein geköpftes Huhn umherflattern? Ich wünschte mir Mansur einen Kopf kürzer.
    Es war Ende August. Meine Eltern saßen im Houzchaneh . Es warnach dem Mittagessen. Der Springbrunnen war angestellt und ließ das Wasser mit sanftem Laut in das geflieste Becken rieseln. Mein Vater rauchte Wasserpfeife, und meine Mutter trank Tee. Ich hatte mich auf Zehenspitzen nach unten geschlichen und horchte. Keines der Gespräche handelte von mir. Als existierte ich nicht. Es stimmt, mein Vater war nach den Vorfällen jenes Abends mürrisch und wortkarg geworden. Meistens runzelte er die Stirn. Meine Mutter betrachtete ihn besorgt, und ich stand meistens vor der Tür des Zimmers, in dem sie saßen, auf Horchposten. Doch war überhaupt nicht die Rede von mir und meiner Verliebtheit. Das war schlimmer als Zeter und Mordio, Tadel und Prügel. Wenn sie doch nur etwas sagen würden. Wenn mein Vater mir doch nur drohte und mich halbtot prügelte. Sobald er Rahims Namen erwähnen und von der Schreinerei am Straßenrand sprechen würde, hieße das, daß Rahim in seiner Vorstellung existierte und ihm Kopfzerbrechen bereitete. Daß er ein Problem darstellte, das auf irgendeine Weise gelöst werden mußte. Dann könnte ich sagen, es gibt keinen Ausweg außer unserer Vereinigung. Doch was bedeutete dieses Schweigen? Es hieß, daß gar kein Problem existierte. Es hieß, daß meine Worte nichts wert waren, wie Luft. Es bedeutete also, daß mein verrücktes Herz so lange in der müden Brust schlagen sollte, bis es müde, sanft und folgsam wurde, wenn es das doch nur geworden wäre. Doch jedes Mal, wenn eine Brise aufkam, mußte ich an seine Locken, den verlegenen Blick und die gottergebene Haltung denken. Würden diese Locken jetzt ebenfalls in der Brise zittern? Wie sehr sehnte ich mich nach jenem Lädchen und dem Geräusch von Säge und Hobel.
    Meine Mutter stieg aus dem Houzchaneh herauf und rief nach Dadde Chanum. Ächzend erschien diese. Ich

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