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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Ich wickelte mich in den Gebetsschleier und hockte mich in der Dunkelheit auf die Küchenstufen. Diese Dunkelheit war gottgesandt. Es dauerte eine ganze Weile. Ich blickte immer noch auf das Gebäude. Der gedämpfte Aufruhr, der im Gange war und nur für mich Bedeutung hatte, steigerte und legte sich allmählich wieder. Ich weiß nicht, wie lange es dauerte. Eine Stunde? Zwei? Ich weiß nur, daß mir vom Sitzen auf den Küchenstufen der Rücken schmerzte. Ich wagte nicht, mich zu rühren. Als träumte ich. Es war ein Alptraum. Ich starb und wurde wieder lebendig,bis nacheinander die Lichter ausgingen. Ich hörte Hadj Alis Schritte, wie er mit dem Windlicht hinkend die Stufen des Wasserspeichers wieder hinaufstieg. Müde erhob ich mich von meinem Platz. Mein ganzer Körper schmerzte. Als hätte ich Prügel bezogen. Hadj Ali sah mich. Er sah mich und warf mir einen mißtrauischen Blick zu, sah dann auf das Gebäude und betrat schlurfend die Küche.
    Auf Zehenspitzen kehrte ich ergeben zum Hauptgebäude zurück. Als ginge ich zur Schlachtbank. Ich war halbtot vor Angst. Glücklicherweise schienen alle zu schlafen oder versuchten mit vorgetäuschtem Schlaf, ihre Wut zu ersticken, um die Tötung dieses widerspenstigen und rebellischen Mädchens zu vermeiden.
    Vorsichtig öffnete ich die Tür zum Zimmer, in dem, wie ich wußte Nozhat schlief, trat lautlos ein und schloß die Tür hinter mir. Sofort erhob sich meine Schwester und setzte sich auf. Das Mondlicht erfüllte den Raum und umspielte die farbigen und kostbaren Gegenstände. Mit müden Gliedern streckte ich mich im Tchador, in den ich mich gewickelt hatte, neben ihr aus. Sie legte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Ich näherte meinen Kopf ihrem Ohr. Die rechte Hand hielt ich unter dem Kopf. »Was ist geschehen?«
    Sie hatte ihre Hand auf die Stirn gelegt und die Bettdecke bis zum Kinn hochgezogen, so daß ich nur ihren Ärmel und die beiden großen Augen sah.
    »Was sollte denn nach deiner Vorstellung geschehen? Siehst du nun, was du angerichtet hast? Agha Djan hat dir verboten, das Haus zu verlassen. Und wenn es nötig sein sollte, dann nur mit der Kutsche, und das auch nur zusammen mit Chanum Djan oder Dadde Chanum und mit Chanum Djans Erlaubnis.«
    »Oh…«, entfuhr mir.
    »Agha Djan hat gesagt, er würde den Onkel benachrichtigen, daß ihr in ein paar Tagen zu seinem Garten in Shemiran fahrt. Sie wollen dich mitnehmen, um die Abmachungen für deine Hochzeit mit Mansur zu treffen.«
    Wieder sagte ich, »O weh«, wandte mich ab und lag ebenfalls rücklings da. Ich war vollkommen in Gedanken versunken. Ich sah nichts und niemanden. Von Gott wünschte ich mir nur den Tod. Ich war so wütend auf Mansur und verspürte solch einen Haß, daß man es gar nicht beschreiben kann.
    Meine Schwester fuhr fort, »Außerdem hat er verboten, daß irgend jemand aus diesem Haus den direkten Weg zum kleinen Bazar nimmt. Ihr müßt alle einen Umweg machen. Links um drei, vier Häuser herum. Ihr müßt zur anderen Seite gehen…«
    Ich war still. Wie gestorben. Ich sah nur ihr Haar – gewellt und voller Locken auf der Stirn. Und ich sah Mansur – mit pomadisiertem Haar, das am Kopf klebte. Steif und streng, ohne jedes Gefühl. Ich wollte nicht, es war doch kein Zwang. Ich wollte Mansur nicht.
    Nun hatte meine Schwester ihre linke Hand unter den Kopf geschoben und sich neben mir aufgestützt, »Komm schon, Mahbube, nun übertreib nicht. Denk ein bißchen nach. Siehst du nicht, was du uns allen eingebrockt hast? Als könntest ausgerechnet du mit deinem ganzen Gehabe, bei diesem Lebensstil und diesem Luxus die Frau eines Schreinerlehrlings werden? Als könntest du mit einem Herumtreiber und Habenichts zusammenleben? Was ist denn so Besonderes an diesem Jüngling außer dem Gestank von Holz?…«
    Ich schnitt ihr das Wort ab und drehte ihr den Rücken zu, »Laß mich in Ruhe. Schlaf endlich!«
    Meine Schwester fragte, »Nun sag schon, woran denkst du?«
    »An ihn.«
    Ich sehnte mich nach dem Geruch von Holz.
    Die Türen fielen vor mir ins Schloß. Ich war eine Katze, die in eine Falle getappt war, wütend, wild und widerspenstig. Ich traute mich nicht, meinem Vater unter die Augen zu treten. Die Amme, die nach zwei Tagen zurückgekehrt war, musterte mich mißtrauisch und sprach kein Wort, sie brachte mir das Mittag- und das Abendessen. Meine Mutter versuchte mir möglichst aus dem Weg zu gehen. Jedesmal, wenn ich das Zimmer notgedrungen verlassen mußte und ihr begegnete,

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