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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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Abendessen wird kalt. Essen Sie doch zuerst zu Abend. Ich könnte mich ohrfeigen. Es ist alles meine Schuld.«
    Ein fürchterliches Geräusch folgte. Ich begriff, daß mein Vater die Reisplatte mit einem Fußtritt an die Wand geschleudert hatte. Meine Mutter und meine Schwester schrien im gleichen Augenblick auf, und ich rannte entsetzt zum Hof, die Stufen hinab und floh inden Garten. Die Schuhe hielt ich in der Hand, damit mein Vater meine Schritte nicht hören konnte. Ich hörte das Zuschlagen der beiden Türflügel und das Geschrei meines Vaters, der wie ein Löwe mit Schaum vor dem Mund brüllte, »Wo hast du dich verkrochen, Mädchen?«, und wie er nacheinander alle Räume, die Vorratskammer und das Houzchaneh nach mir absuchte.
    Ich rannte ans Ende des Gartens. Neben der Küchentür warf ich mir den Tchador über, zog meine Schuhe an und stieg langsam und vorsichtig die zwei zersprungenen Lehmziegelstufen hoch und betrat die schwärzliche, verräucherte Küche. Ein Windlicht hing an der Küchenwand. In die gegenüberliegende Wand waren nebeneinander drei große Herdstellen eingelassen. Zu beiden Seiten der Herde waren Rohziegel aufgeschichtet zum Abstellen der Töpfe. Alle rauchgeschwärzt. Eine Ecke öffnete sich auf eine grubenähnliche Vertiefung, die direkt an die Küche anschloß und angefüllt war mit Brennholz. Als Kinder trauten wir uns aus Angst vor den Djinnen nicht, die Küche zu betreten. Jedes Knacken aus der Brennholzkammer war ein Anzeichen für die Existenz der Geister und eine Bestätigung der Märchen, die uns unsere Amme am Korsi erzählte. Auf dem Küchendach waren Eierbriketts für den Korsi im Winter zum Trocknen aufgeschichtet. Links befand sich eine niedrige kurze Holztür, durch die man nach drei bis vier Metern an den Wasserspeicher gelangte, zu dessen Hahn ein paar Stufen hinabführten. Der arme Hadj Ali mußte nach jeder Mahlzeit das Geschirr dorthin schleppen und es mit Seifenkraut, Asche und Lehmstaub reinigen, es dann wieder in die Küche zurückbringen und in einer dafür vorgesehenen sauberen und ordentlichen Vorratskammer aufschichten. Die Vorratskammer hatte eine Ablage. Auf die stellte man die kleinen Gefäße, wie Tabletts, Kebabspieße und die kleinen Schüsseln und Töpfe. Darunter standen die großen Kupfertöpfe, das kupferne Kohlebecken und Sieb und dergleichen mehr. Ich zog es vor, in die Küche zu gehen, da dort wenigstens ein Licht brannte. Hadj Ali, der seine Mahlzeit soeben mit fettigen Fingern beendet hatte, hob den Kopf, sah mich verwundert an und erhob sich mühsam von seinem Platz.
    »Haben Sie einen Wunsch, kleine Chanum?«
    Wieder hörte ich den Schrei meines Vaters. In der Küche war verschwommen die Helligkeit der Lichter vom Anfang des Gartens und vom Herrenhaus zu sehen. Erst jetzt bemerkte ich, was für einenschönen Anblick der Hof, der Garten, die farbigen Fenster und die vom Lampenlicht erhellten Türvorhänge boten, zumal ihr Licht sich im Becken in der Mitte des Hofes spiegelte. Das Purpur der Geranien war eine Pracht. Noch nie hatte ich die Arbeit des betagten Gärtners und seines Sohns, der auch das Wasser aus dem Bekken abließ, so bewundert, und noch nie hatte ich mir so sehr gewünscht, diese Umgebung zu verlassen, um in jener verräucherten Schreinerei Zuflucht zu suchen.
    Ruhig wandte ich mich an Hadj Ali. Ich hoffte, seine Taubheit und Unbekümmertheit verhinderten, daß er den Schrei meines Vaters hörte. Ziemlich laut sagte ich, »Ich… ich… Chanum Djan möchte eine Wasserpfeife. Hast du keine Glut?«
    Hoffentlich trug meine Stimme nicht bis an die andere Seite des Hofs.
    Erstaunt sah er mich an, »Wo ist denn der Pfeifenkopf?«
    »Ich geh ihn gleich holen.«
    Hadj Ali sagte müde und träge, »Ich wollte doch das Geschirr zum Wasserhahn bringen und waschen. Bis Sie den Pfeifenkopf gebracht haben, bringe ich das Geschirr hin und komme zurück.«
    »Du brauchst nicht zurückkommen. Bring das Geschirr weg. Ich nehme mir selbst von der Glut.«
    Er sah mich an. Erstaunt schob er die Unterlippe vor. Er nahm das Geschirr auf, um es wegzubringen. Er wunderte sich. Wußte nicht, ob er das Windlicht mitnehmen sollte oder nicht! Wenn er es mitnahm, würde ich im Dunkeln bleiben. Als er ohne Licht gehen wollte, sagte ich, »Nein, nein, ich brauch kein Licht. Nimm die Lampe mit.«
    Verblüfft nahm der alte Mann die Lampe und ging schlurfend zum Hahn des Wasserspeichers. Ich wußte, daß er in den nächsten zwei Stunden nicht zurückkehren würde.

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