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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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dir das Reh an. Du weißt nicht, was für Augen es hat! Es ist wunderschön!«
    Die Cousine sagte, »Wir haben auch zwei Hasen. Die mußt du sehen. Steh auf und komm doch, sei nicht so träge! Komm mit, damit ich sie dir zeigen kann.«
    Mein jüngerer Cousin deutete auf seine beiden Schwestern, »Wir haben auch zwei Kühe.«
    Die eine Schwester gab ihm eins aufs Haupt und lachte.
    Ich sagte, »Im Moment habe ich keine Lust. Später.«
    Mein Vater warf mir einen verstohlenen Blick zu. Seitdem wir uns im Garten zur Wahrung der Form begrüßt hatten, war außer meinem Gruß und seiner Antwort kein Wort zwischen uns gefallen. Doch von finsterer Miene war ebenfalls nicht die Rede. Er gab sich große Mühe, seine Wut auf mich zu unterdrücken und das Ansehen zu wahren. Doch war er kühl. Nur ich spürte, wie kühl und gleichgültiger geworden war. Als wäre ich ein Mühlstein um seinen Hals. Er wollte mich loswerden.
    Es wurde langsam dunkel, und die Diener zündeten die Windlichter an. Die Frau des Onkels sagte, »Jetzt ist es ja Nacht geworden. Morgen wird sie mit Mansur Djan anschauen gehen…« Dann lachte sie und fügte hinzu, »Selbstverständlich mit Erlaubnis Ihres Agha Djan und Nazanin Chanums.«
    Mein Vater lächelte gezwungen, und meine Mutter lachte aus vollem Halse mit der Freude einer Frau, deren Tochter im Begriff ist zu heiraten. An Mansurs Blick bemerkte ich, wie sehr er sich wünschte, daß wir nachts spazierengingen. Der Ärmste hatte keine Ahnung, was in meinem Herzen vor sich ging. Er wußte nicht, daß mir nicht nach einem Spaziergang im Garten zumute war. Daß ich auf nichts Lust hatte.
    In jener Nacht brütete ich in dem Zimmer, in dem ich zusammen mit meiner Mutter, Chodjasteh, der Amme und Manuchehr schlief, erneut bis zum Morgengrauen Pläne aus. Die günstige Gelegenheit, die ich mir von Gott erfleht hatte, hatte mir die Frau des Onkels in den Schoß geworfen. Also war mir Gott vielleicht wieder freundlich gesinnt. Vielleicht hatte er sich meines Herzens erbarmt…
    Woran ich dachte – und wovon wohl Mansur träumte? Die Amme sagte auf ihrem Lager, »Mahbub Djan, möge dir Gott eine glückliche Zukunft bescheren. Du hast Glück gehabt, mein Kind. Sei mir nicht böse, aber dein Cousin gleicht einem Buchsbaumzweig, maschallah.«
    Es mißfiel mir, doch ließ ich es mir nicht anmerken. Ich kehrte ihr den Rücken zu und antwortete nicht. Chodjasteh lachte, und meine Mutter sprach in kindlichem Ton mit Manuchehr, der noch wach war und spielen wollte. An ihrem Tonfall, ihrem Verhalten und ihrer Friedfertigkeit spürte ich, wie froh sie war. Sie war mit der Amme einer Meinung.
    Wieder sagte die Amme, »Chanum, hoffentlich ist der Tag des ›Kuchenessens‹ nicht zu bald! Wir haben tausend Dinge zu tun, es würde hektisch werden.«
    Meine Mutter antwortete, als hätte sie vergessen, daß ich seit Monaten meuterte und Tag und Nacht stur darauf beharrte, daß ich den Schreiner des Viertels wollte, »Ich weiß nicht so recht, Frau Amme. Ich glaube, es wird auf den Vorabend des Mab’ass-Festsfallen. Allein das Backen des Kuchens dauert eine Woche. Andererseits wird die Luft allmählich herbstlich kühl. Ich wünschte, wir würden uns schneller entscheiden, damit man die Tische und Stühle noch im Hof aufstellen könnte. Heute früh hat mir die Frau des Onkels heimlich einen Fingerring gezeigt. Mit einem Stein groß wie ein Daumennagel. Sie sagte, sie hätte ihn für Mansurs Frau beiseite gelegt. ›Gefällt er dir oder nicht.‹ Sie haben große Hoffnungen. Sie wollen für ihren Sohn alles nur Erdenkliche tun. Und schlimmer als mich beunruhigen sie die Vorbereitungen für die Hochzeit. Sie hat ja auch recht. So langsam mache ich mir auch Sorgen…«
    Ich kochte vor Zorn. Meine Mutter gab mir einen Wink mit dem Zaunpfahl. Das bedeutete, ›Du mußt den Cousin heiraten. Tot oder lebendig, es ist wie es ist. Das hast du dir selber eingebrockt, da hilft kein Zetern und kein Schreien.‹ Aber ich sagte mir, ›Laß sie in diesem Glauben.‹ Wie heißt es doch so richtig: Vorfreude ist die halbe Freude.
    Am Morgen frühstückten wir alle miteinander auf dem Eiwan vor dem Schwimmbecken. Erneut herrschten ausgelassene Fröhlichkeit und geschäftiges Treiben. Die Sonne war bereits ganz aufgegangen, als Onkelchen und mein Agha Djan, die vom Spaziergang im Garten zurückgekehrt waren, das Haus betraten und in eines der Zimmer gingen, um der Frau meines Onkels zufolge über ihre Ländereien zu sprechen. Mansur, der

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