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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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auszusetzen, und nahm man noch das Riesenvermögen und die Titel seines Vaters dazu, wurde deutlich, weshalb alle heiratsfähigen Mädchen sich danach sehnten, ihn zu heiraten. Alle außer mir. In meinen Augen glich er einer Schlange. Bei seinem Anblick wurde mir übel. Beim Betrachten seiner unschuldigen Schamhaftigkeit und Verlegenheit, die bei Chodjasteh und meinen Cousinen Getuschel und heimliches Gelächter hervorriefen, schauderte mich. Es war mein Pech, daß er so gut war. Daß ich so schlecht war. Daß es mir, und wenn ich mich noch so sehr bemühte, nicht gelang, ihn in mein Herz zu schließen.
    Nach dem Mittagessen lehnte er sich in das Sitzkissen zurück. Erwinkelte das linke Bein senkrecht an und setzte den rechten Ellbogen darauf. Inzwischen war er kühner geworden. Gelegentlich musterte er mich verstohlen, nachdem er sich davon überzeugt hatte, daß niemand es merkte, und lächelte. Sein Lächeln war schön und ließ seine Augen strahlen. Er begehrte mich tatsächlich. Ich wußte nicht, seit wann! Nie hatte er mich etwas merken lassen. An jenem Tag begriff ich das sehr wohl und litt darunter. Als bohrten sich seine bewundernden Blicke wie Pfeile in meinen Leib. Ich verabscheute seine weichen und zarten Hände, seine kostspieligen Gewänder, daß er Stiefel trug, seinen schmalen Schnurrbart, dessen Enden leicht nach oben gezwirbelt waren, seine gutgekämmten Haare, deren jedes sorgfältig an seinem Platz lag, seinen höflichen und gezierten Tonfall und all das, was in den Augen anderer als Vorzug erschien, und ich ekelte mich davor.
    Was mich am meisten erzürnte, war seine Annahme, daß ich ihn ebenfalls begehrte. Möglicherweise noch glühender und heftiger. Er war überzeugt davon, daß es so sein mußte. Das stand außer Frage und durfte gar nicht anders sein. Er dachte, er hätte mir mit der Brautwerbung einen Gefallen getan, und ging, ohne sie gehört zu haben, von meiner Zustimmung aus. Sein Egoismus und sein Selbstvertrauen stießen mich mehr als alles andere ab.
    Gegen Abend legte man den gesamten Eiwan, der nur durch eine Stufe vom Rasen getrennt war, der bis zu einem großen Schwimmbecken reichte und sich dahinter zwischen den Reihen der Obstbäume im Unendlichen verlor, mit Kelims aus. Für meinen Vater und Onkel wurde eine Liege aufgestellt und ebenfalls mit Kelims bedeckt. Angeboten wurden Salat und Ssekandjebin, Halim Bademdjan, Obst, Tee, Wasserpfeife und selbstverständlich salziges Knabberzeug. Die Frauen saßen auf dem Boden. Die Frau des Onkels hatte sich neben dem großen Kohlen-Samowar plaziert und schenkte Tee ein. Jedes Teeglas stellte sie auf einem goldumrandeten Untertäßchen auf ein kleines Messingtablett, samt einer Zuckerdose aus Kristall oder Messing, die einige Stücke Würfelzucker enthielt. Chodjasteh und Onkelchens Kinder tobten herum und trieben Schabernack. Gelegentlich kam eines gelaufen, um von den Salatblättern und Ssekandjebin oder vom Knabberzeug zu stibitzen, und kehrte mit vollen Händen zurück. Die Rufe der Frau des Onkels, meiner Mutter oder der Ammen, die sie aufforderten, sichhinzusetzen und wie wohlerzogene Kinder zu Abend zu essen und anschließend zu spielen, beachteten sie nicht.
    Manuchehrs Wickeltuch hatte man gelöst, unter ihn jedoch ein Wachstuch mit ein paar Windeln gelegt, damit er nicht alles durchnäßte. Er lag auf dem Rücken, und die leichte Decke knüllte sich bei seinem Gestrampel in einem fort zusammen und glitt zur Seite. Angesichts der Freude der Kinder krähte Manuchehr vor Entzücken. Mein Vater deckte ihn liebevoll wieder zu und sagte, »Schäm dich, Sohnemann.« Und Onkelchen lachte.
    Was für eine glückliche Familie wir doch waren! Welch wunderbarer Anblick! Und hätte sich Gott meiner erbarmt und mein Wesen durch Vernunft bestimmt, wie sehr hätte ich mich über das Glück, das mir zuteil werden sollte, gefreut und wäre dankbar gewesen dafür. Doch war mir ein anderes Schicksal beschieden. Ich selbst war dort und mein Herz anderswo.
    Das Wasser des Schwimmbeckens, das man auch zum Bewässern des Gartens, der Blumen und des Obstgartens verwendete, war grünlich und hatte am Grund Schlamm angesetzt. Zwei große Schildkröten tummelten sich darin, sehr zum Vergnügen der Kinder. In einem Winkel des Gartens saßen zwei Hasen im Käfig. Ein Rehkitz, das man mit einem langen Seil an einen Baum gebunden hatte, lief im Garten herum und äste vor sich hin.
    Chodjasteh kam mit einer der Cousinen angerannt, »Komm, Mahbube. Komm, schau

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