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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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sich, als hätte ihn eine Schlange gebissen. So dunkel, daß ich dachte, er würde, Gott behüte, gleich vor mir umsinken und krepieren. Mit haßerfülltem Blick musterte er mich vom Scheitel bis zur Sohle. Ein, zwei Mal versuchte er durchzuatmen und etwas zu sagen, doch die Stimme versagte ihm. Dann schnellte er wie eine Feder von seinem Sitz. Ehe sich der arme Fuhrmann versah, packte er ihn mit der Linken hinten an der Schulter und riß ihn derart zurück, daß er mit einem Bein in der Luft hing und nicht viel gefehlt hätte, daß er gestürzt wäre. Die Peitsche in der Rechten des armen Mannes fuhr indie Höhe. Dein Vater knurrte wie ein Löwe, ›Gib sie mir gefälligst!‹ Er entriß dem Fuhrmann die Peitsche, und ehe ich mich rühren konnte, zog er sie mir so heftig über, daß sie sich von oberhalb des Knies bis zur Schulter um mich schlang. Dein Vater wollte die Schnur zurückziehen, doch sie war wie festgeklebt, und ich wurde auf ihn zu gewirbelt. Mein Hemd zerriß, und aus den Striemen sickerte Blut. Als dein Vater sah, daß sie sich nicht von meinem Körper löste, brüllte er mit zusammengebissenen Zähnen, ›Schwuler Bastard, wenn du sie noch einmal erwähnst, laß ich dir den Nacken zertrümmern. Wenn du dich noch einmal in dieser Gegend blicken läßt, werde ich deine Mutter um dich trauern lassen.‹
    Die Schnur löste sich und fiel von mir ab. Dein Vater warf die Peitsche dem Fuhrmann zu und sagte, ›Fahr zu!‹, und verschwand. Sieh, was er getan hat!« Er streckte mir ein weißes, blutbeflecktes Stück Stoff entgegen und sagte, »Nimm es. Behalt es als Andenken. Nun habe ich deinetwegen auch Blut vergossen. Was kümmert’s mich?«
    Beim Anblick seines Bluts wurde mir übel. »Weh«, sagte ich, als hätte die Peitsche meinen Körper getroffen.
    Tantchen zog ein Stück Stoff hervor, auf dem die Blutspur wie ein schwarzer Strich zurückgeblieben war, warf einen sehnsüchtigen Blick darauf und fuhr fort.
    Er fragte mich, »Was, meinst du, sollte ich nun tun? Ich will zur Brautwerbung kommen. Selbst wenn es mich meinen Kopf kostet, ich gebe nicht auf.«
    »Warte, ich werde dir Bescheid geben.«
    »Wie denn?«
    »Gib mir die Anschrift eures Hauses.«
    Besorgt fragte er, »Was nützt dir die Anschrift des Hauses? Es ist gemietet. Wenn dein Vater Lunte riecht, wird er es ebenfalls kaufen.«
    Ich hatte eine Idee, »Gut, ich werde durch den Hof unseres Hauses bis ans Ende des Gartens gehen und dir ein Stück Papier zuwerfen. Hier, an dieser Stelle. Ich werde das Papier um einen Stein wickeln und es über die Mauer werfen. Komm ab und zu her und schau dich um!«
    »Ab und zu? Ich streune jeden Tag in dieser Gegend herum. Was sollte ich sonst tun? Dein Vater hat mir die Arbeit geraubt und du mir meinen Frieden.«
    Ich wußte, daß ich seine Frau werden mußte. Um jeden Preis würde ich seine Frau werden. Nicht für ein Haar dieses Schreinerlehrlings würde ich Hunderte von Chans, Prinzen und Grafen nehmen. Ich sagte, »Jetzt muß ich aber gehen.«
    Er sagte, »Ich habe dir so viele Andenken gegeben. Eine Haarlocke…, mein Blut… Was wirst du mir als Andenken schenken?«
    »Mein Herz«, und ich rannte stolpernd davon. Durch Gestrüpp und Disteln, die sich in meinem Tchador verhedderten, die mich staubig machten und mir Hände und Füße zerkratzten, rannte ich davon und wünschte mir, daß mir die Beine verdorrten und ich bis ans Ende der Welt dort stehenbleiben könnte.
    Eine Nacht verging, und kein Zeichen von meinem Vater. Am zweiten Tag kehrte seine Kutsche gegen Mittag nach Hause zurück, doch er saß nicht darin. Firuz Chan kam eilig in den Hof des Andaruni und verlangte nach meiner Mutter. Sie legte den Gebets-Tchador an und ging in den Hof. Firuz Chan stand ehrerbietig vor ihr. Hinter meiner Mutter stand die Amme mit dem Kind auf dem Arm.
    Firuz Chan sagte, »Der Herr hat befohlen, daß ich Ihnen die Kutsche bringe, und er hat ausrichten lassen, daß sein Bruder Sie eingeladen hat. Gleich morgen früh sollen Sie sich zusammen mit dem Herrensohn, der Amme und den kleinen Herrinnen zum Garten in Shemiran begeben, um sich dort sieben, acht Tage zu erholen.«
    Ich war zu klug, um nicht zu bemerken, daß die Angelegenheit Mansur und mich betraf. Unverzüglich setzte geschäftiges Treiben ein. Chodjasteh in Vorfreude auf die Spiele mit ihren Cousinen, meine Mutter in Vorfreude auf meine Vermählung und das Ende des Ärgers, und die Amme in Vorfreude auf die Erholung in der kühlen Luft Shemirans. Jede

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