Der Morgen der Trunkenheit
kommt, vergeht einem doch der Appetit!«
»Nun gut, meine Mutter hätte nicht so unverschämt sein dürfen. Bist du nun zufrieden? Jetzt weine nicht mehr. Willst du, daß ich vor Kummer vergehe?«
Plötzlich schämte ich mich. Ich schämte mich, daß er sagte, seine Mutter sei unverschämt gewesen. Er tat mir leid. Ich sagte, »O weh, red nicht so. Sie ist keineswegs unverschämt gewesen. Vielleicht habe ich mich geirrt. Vielleicht habe ich ihre Worte falsch verstanden.«
Er lachte und nahm mich in die Arme. Wir versöhnten uns.
»I, was für ein übler Gestank. Es stinkt nach frischem Brot.«
Rahim sagte, »Nicht zu glauben! Stinkt frisches Brot etwa?«
»Ja. Weshalb ist die Wandfarbe dieses Zimmers so grün? Von grüner Farbe wird mir schlecht.«
Er sagte lachend, »Nun gut, dann werde ich morgen Maler bringen, damit sie es rot streichen.«
Ich hatte Appetit auf rohen Reis. Ich pflegte mir eine Handvoll rohen Reis zu holen und ihn knirschend zu zerkauen. Es war rund zwanzig Tage vor Neujahr. Wir hatten den Korsi zusammengeräumt und schliefen nachts wieder im kleinen Zimmer. Die Amme hatte uns aus meinem Elternhaus Ssabzi und Gebäck für das Neujahrsfest mitgebracht, und mein Vater hatte mir zusätzlich zur monatlichen Unterstützung zwanzig Tuman für das Fest geschickt. Alle Gerüche ekelten mich an, Blumen, Gebäck, frisches Brot. Nur die frische Frühlingsbrise besänftigte mich, doch erst, wenn ich minutenlang gebrochen hatte und mein Magen nichts mehr zum Brechen enthielt. Dann spürte ich, wie mir der Frühlingswind über das Gesicht strich. Ich wusch mir Gesicht und Hände und fühlte mich besser. Rahim kam und half mir, ins Zimmer zurückzukehren. Ich sagte, »Komm nicht näher, rühr mich nicht an. Mir wird schlecht.«
»Von mir?«
»Ja, von dir. Du riechst nach Menschenwesen.«
Er lachte und sagte, »Wie riechen denn Menschenwesen?«
»Ich weiß nicht. Ich weiß nur, daß mir davon übel wird. Heute nacht mußt du im Salon schlafen. Ich möchte das Fenster bis zum Morgen offenstehen lassen.«
»Du wirst dir eine Lungenentzündung holen, Mädchen. Die Luft ist noch kalt.«
»Im geschlossenen Zimmer ersticke ich. Es stinkt nach Teppich und Vorhängen. Davon wird mir schlecht.«
Rahim lachte verwirrt und gequält, »Was ist das bloß für eine Krankheit?« Und ich war erstaunt, daß er diese Gerüche nicht wahrnahm. Wie konnte er etwas so Offensichtliches nicht bemerken? Funktionierte etwa sein Geruchssinn nicht?
Die Frau Amme traf mit ein paar Blumentöpfen mit Levkojen aus meinem Elternhaus ein. Ich wagte es nicht, ihr ebenfalls zu sagen, daß sie nach Menschenwesen roch. Also sagte ich nur, »O, liebe Amme, was sind das denn für stinkende Blumen? Nimm sie wieder mit, wir brauchen sie nicht.«
Rahim lachte verblüfft, »Na, bitte! Sogar die Levkojen stinken. Das hatte ich noch nicht gewußt.«
Die Amme erkannte meine Krankheit, »Meinen Glückwunsch, Mahbube Djan, du bist schwanger.«
Ich hatte das Haft-Ssin hergerichtet. Trotz meiner Bemühungen erschien es mir nach wie vor ärmlich. Rahim und ich saßen daneben. Es war süß und bitter zugleich. Süß, weil Rahim an meiner Seite war. Er war der Mann in meinem Haus. Er saß am Kopfende des HaftSsin , starrte mich unverwandt an und sagte, »Ich möchte beim Jahreswechsel dein Gesicht anschauen.«
Bitter war es, weil ich an den Jahreswechsel in unserem eigenen Haus denken mußte. An das Tchaharshanbe-Ssuri mit den jungen Leuten aus der Familie. Über das Feuer springen, Melonenkerne knakken und sorglos lärmen. An das Haft-Ssin unseres Hauses, das so opulent und reichhaltig war. Wir versammelten uns alle darum. Nur mein Vater pflegte sich auf den Sessel zu setzen und seine Golduhr aus der Westentasche zu ziehen. Kurz vor Jahreswechsel las er aus dem Koran vor. Er las das Gebet für den Wechsel. Dann blickte er erneut auf die Uhr. Der Kanonendonner ertönte. Wir küßten alle fröhlich die Hände unserer Eltern und unsere Gesichter und erhielten das Neujahrsgeld. Unverzüglich öffneten sich die Türen, und die gegenseitigen Besuche begannen.
Zum Haus meines Onkels und meiner Tante väterlicherseits und zur anderen Tante, der älteren Schwester meiner Mutter, und dann strömten die Verwandten bei uns herein. Nozhat und ihr Ehemann, der Onkel und die Tante väterlicherseits und die Tante mütterlicherseits, die uns Gegenbesuche abstatteten. Ihre Kinder und meine Onkel mütterlicherseits waren jünger als mein Vater. Meine jüngere
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