Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
Vom Netzwerk:
Mal?«
    Erzürnt über die Vorfälle des Morgens sagte ich, »Nein, es ist nicht das erste Mal. Aber weshalb solltest du nicht gepflegt vor ihr erscheinen? Warte, so geht es nicht.«
    Ich sah die Wut in seinem Blick aufblitzen, beachtete ihn jedoch nicht. Ich knöpfte ihm den Hemdkragen zu. Er stand ohne zu widersprechen im Korridor, seine schweigende Ergebenheit war jedoch nur durch seinen Zorn und Trotz bedingt. Er glich einer Vogelscheuche. In diesem Anzug sah er jämmerlich aus. Absichtlich spreizte er die Arme und betrat schlurfend den Hof. Leise sagte ich, »Rahim Djan, wasch dir um Gottes willen zuerst Gesicht und Hände.«
    Schweigend beugte er sich vor, um sich Gesicht und Hände zu waschen, wandte sich dabei um zu mir und warf mir einen Blick zu, der vor Wut und Verachtung sprühte. Dann drehte er sich um und stieg lautlos die Stufen hinauf. Die Amme kam zur Treppe und begrüßte ihn. Er antwortete ihr sichtlich gleichgültig. Sie bedeutete mir hinterseinem Rücken, was denn geschehen sei. Ich biß mir auf die Lippe und schüttelte den Kopf. Das hieß, laß es sein, es ist nichts. Doch insgeheim kochte ich vor Wut. Weshalb behandelte er meine arme, ahnungslose Amme so? Weshalb durfte ich mich seiner Mutter gegenüber, die so eine böse Zunge hatte, nicht entsprechend verhalten? Ich selbst war schuld, es war meine eigene Unfähigkeit. Ich hätte sie beim Abschied nicht bis an die Haustür begleiten und sagen dürfen, ›Es war uns eine Ehre. Besuchen Sie uns wieder. Sie sind hier zu Hause.‹ Weshalb merkte Rahim das nicht? Weshalb war er so undankbar? Am meisten ärgerte ich mich über mich selbst.
    Die Amme ging fort, und meine Kopfschmerzen wurden noch schlimmer. Es ging auf die Dämmerung zu. Ohne Rahim zu beachten, kroch ich unter den Korsi und legte mich schlafen. Er kam und setzte sich neben mich. Er war wieder guter Laune und fragte, »Was ist mit dir, Mahbube? Bist du verärgert?«
    »Nein.«
    »Doch, du hast etwas.«
    Ich sagte, »Nein, mir tut der Kopf weh«, und ich begann zu weinen.
    Er lachte, wie es Erwachsene bei verzogenen Kindern tun, »Na, na, wegen Kopfschmerzen muß man doch nicht weinen! Gleich werde ich dich kurieren.«
    Er stand auf, brachte alle ihm bekannten pflanzlichen Medikamente und flößte sie mir ein. Er setzte Tee auf. Er wärmte das Mittagessen und brachte es mir. Erneut mußte ich an mein Elternhaus denken. An mein Elternhaus, in dem ich keinen Finger zu rühren brauchte. Ich erinnerte mich daran, wie die Amme stets den Kichererbsenteig knetete und ausrollte und wie ich die Formen ausstach und auf ein Blech legte. Dann nahm sie das Blech mit und brachte das fertige Gebäck, damit ich es in ein Gefäß schichtete. Die Walnüsse mahlte die arme Dadde Chanum, damit ich Walnußbrot backen konnte. Ein anderer brachte Wasser zum Kochen, damit ich den Reis hineinschütten, ihn dann probieren und sagen konnte, ›Nimm und gieß ihn ab, er ist so weit.‹ Und der arme Hadj Ali schüttete den Reis in das hölzerne Sieb. So hatte ich kochen gelernt. Was hatte ich jetzt in diesem Haus ohne jede Hilfe durchzustehen? Ich tat mir selbst leid. Also begann ich erneut zu weinen.
    Rahim fragte, »Nun sag schon, was geschehen ist. Habe ich etwas Falsches getan? Vielleicht hat deine Amme etwas Unangenehmes gesagt.«
    »Ach wo, bei Gott nicht.«
    »Was dann, sag schon! Weil ich meinen Hemdkragen nicht zugeknöpft hatte?«
    Ich merkte, daß er den Grund sehr wohl kannte. Er wußte, daß es wegen des offenstehenden Hemdkragens war. Wegen seines proletenhaften Auftritts vor meiner lieben Amme. Wegen seiner Gleichgültigkeit gegenüber dieser liebevollen Frau. Dennoch stellte er sich dumm. Ich sagte »Nein« und schluchzte.
    Er sagte, »Weißt du, daß du sehr komisch weinst? Ich würde dich gern ärgern, damit du weinst und ich dir zuschauen kann. Zuschauen kann, wie dein Kinn zittert. Aber schließlich weint man doch nicht ohne Grund!«
    Ich sagte, »Du weißt es nicht? Hast du nicht gehört, was deine Mutter morgens gesagt hat? Überhaupt, morgen brauchst du nicht aufzustehen, um das Frühstuck vorzubereiten. Ich bin doch nicht gelähmt.«
    Er lachte und sagte, »Ach so, das hat dich geärgert. Es war doch keine böse Absicht. Hast du nicht mitbekommen, wie sehr sie dir geschmeichelt hat? Hast du nicht gesehen, wie betrübt sie war, als du nicht gefrühstückt hast?«
    Ihre Gerissenheit und seine Beschränktheit erzürnten mich noch mehr. Ich sagte, »Wenn sie alles sagt, was ihr in den Sinn

Weitere Kostenlose Bücher