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Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
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sah, daß Mahbube Djan nicht aufgestanden ist, um den Tee aufzusetzen, dachte ich mir, da ist etwas im Busch. Mahbube Djan, Rahim muß dich wirklich sehr begehren! Bei uns zu Hause hat er keinen Finger gerührt.«
    Ich kochte vor Wut. Solche Bemerkungen hatte ich nicht erwartet. In meinem Elternhaus hatte sich niemand erlaubt, mich anzufahren, geschweige denn zu sticheln. Sanft und höflich erwiderte ich, »Nun ja, Chanum, auch ich habe zu Hause keinen Finger gerührt.«
    Sie lachte schallend und sagte abfällig, »Nun, deshalb bist du ja auch so zimperlich geworden.«
    Ein Kloß saß mir im Hals. Behutsam stellte ich das Teeglas auf den Boden und setzte mich. Ich wollte ihr eine grobe Antwort geben, doch ich konnte nicht. Der Anstand und die Achtung vor dem Alter verboten es mir. Die Rücksicht auf Rahim verbot es mir. Sowar ich erzogen worden. Ich konnte mich nicht darüber hinwegsetzen und meiner Zunge freien Lauf lassen. Zudem wegen nichts und wieder nichts. Wie diese neidische Frau, die meine Schwiegermutter war. Ich hätte mir gewünscht, Rahim würde mich unterstützen. Er hätte es tun müssen. Ich konnte und durfte seiner Mutter gegenüber nicht unhöflich sein, doch schien es, als bemerkte er gar nicht, wie verärgert und beleidigt ich war. Seine Mutter merkte es jedoch sehr wohl, und sie sagte, »O weh, Gott lasse mich sterben für dich, Kind, weshalb ißt du nichts? Junge Frau, bald wirst du gebären. Eine Frau muß essen, um bei Kräften zu sein.«
    Sie hatte mich beleidigt und versuchte nun, die Spuren zu verwischen.
    »Ich habe keinen Hunger.«
    Sie frühstückte mit Appetit. Rahim auch. Plötzlich spürte ich Zorn und Rachsucht gegenüber den beiden. Ich spürte, daß ich mich in der Minderheit befand. Ich war allein und saß in der Falle. Ich wollte etwas entgegnen, mich beschweren. Das Zimmer verlassen und die Tür hinter mir zuschlagen. Rahim sagen, daß er seiner Mutter den Mund verbieten sollte. Ihr sagen, sie solle den Mund halten. Doch der Anstand verbot es mir. Stets hatte man mir eingeschärft: Benimm dich wie eine Dame. Als sich seine Mutter endlich verzog und mit Rahim, der zur Arbeit ging, das Haus verließ, flossen meine Tränen. Nicht aus Schwäche, sondern aus Wut, wegen meiner eigenen Ohnmacht, wegen Rahims Gleichgültigkeit und Unaufmerksamkeit.
    Neujahr rückte näher, und ich sehnte mich wieder nach meinem Elternhaus. Die Amme war seit vierzig Tagen nicht gekommen. An diesem Morgen hatte ich mir die Tränen gerade abgewischt, als sie eintraf. Sie war verstört und durcheinander. Sie nahm mir das Frühstücksgeschirr ab, um es abzuwaschen. Während sie das Geschirr am Beckenrand abwusch, ging ich zu ihr und setzte mich neben sie, »Liebe Amme, haben mir Agha Djan und Chanum Djan nichts ausrichten lassen? Haben sie keine Grüße für mich aufgetragen?«
    »Wallah, weißt du, Mahbube Djan, als ich fortging, herrschte zu Hause solch ein Durcheinander, daß du es dir nicht vorstellen kannst. Kuchen backen… das Kind betreuen… und dieser FiruzChan wird auch von Tag zu Tag träger. Und Dadde Chanums Hauptbeschäftigung ist Essen und Schlafen.«
    »Frau Amme, lenk nicht ab. Haben sie mir Grüße ausrichten lassen oder nicht?«
    Die Amme stellte das Teeglas umgekehrt auf das Sieb und sagte ohne mich anzusehen, »Um die Wahrheit zu sagen, nein.«
    Zornig sagte ich, »Sie wollen mich quälen.«
    Sanft erwiderte sie, »Sie sind selbst so geplagt, daß sie den Kummer mit dir vergessen haben.«
    Mir sank das Herz in die Knie. Ich begann am ganzen Leib zu zittern.
    »Was ist geschehen, liebe Amme? Weshalb?«
    »Um die Wahrheit zu sagen, ich wollte es dir nicht erzählen, damit du dich nicht auch noch sorgst. Aber jetzt tu ich es, damit du nicht denkst, deine Eltern würden Tag und Nacht Freudentänze aufführen und nicht an dich denken.« Sie legte eine Pause ein und erhob sich. Sie nahm das Sieb mit dem abgewaschenen Geschirr, stellte es vor die Mauer in die schwache Sonne des Winterendes und sagte, »Seit deiner Hochzeit hat die Chanum ihrer Schwester ein paar Mal indirekt ausrichten lassen, sie könnten zur Besprechung kommen, falls sie Chodjasteh wünschten. Die hat es ständig auf die lange Bank geschoben. Vor rund zwanzig Tagen kam deine liebe Tante zu deiner Mutter. Die hatte sich erkältet, und deine Tante kam auf Krankenbesuch. Während des Gesprächs sagte sie, ›So Gott will, wirst du bald wieder gesund sein und dich um Haus und Hof kümmern können.‹ Und ich sagte, ›Ja, um die

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