Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Morgen der Trunkenheit

Der Morgen der Trunkenheit

Titel: Der Morgen der Trunkenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fattaneh Haj Seyed Javadi
Vom Netzwerk:
ich müde und kraftlos ein. Das Geschirr war am Beckenrand stehengeblieben. Weder Rahim noch ich hatten Lust, es zu spülen. Bei Anbruch der Dämmerung legteich den Tchador an und zog mir den Gesichtsschleier über. Wir nahmen uns eine Droschke und fuhren in die Lalehzar . Wir besuchten die Sehenswürdigkeiten. Die Sonne ging allmählich unter. Die Menschenmenge war staunenswert. Er fragte, »Willst du, daß wir spazierengehen? Etwas essen? Geht es dir gut?«
    »Ja, mir geht’s gut.«
    Wir stiegen aus und gingen ein wenig zu Fuß. Es war sehr vergnüglich. Rahim wirkte in seinem Anzug mit Weste und der goldenen Uhrkette, die von seinem Westenknopf herabhing, noch begehrenswerter. Ein alter Mann, der mit einem Handkarren Speisen verkaufte, ging vorbei. Ich kann mich überhaupt nicht mehr erinnern, was es war. Jedenfalls war der Handkarren randvoll beladen. Rahim fragte mich, »Magst du etwas davon?«
    Entzückt wie ein Kind sagte ich, »Ja, kauf es mir.«
    Zwei junge Frauen und ein junger Mann gingen an uns vorbei. Beide Frauen hatten den Gesichtsschleier hochgeschlagen. Ihre Lippen und Wangen erschienen mir zu rot. Ihre Gesichter wirkten ordinär. Schamlose Augen, die mit Antimon geschminkt waren. Die eine hielt sich die Hand vor den Mund und lachte, und die andere, die lang und schlank war, sagte mit einer Stimme, die in Gelächter auszubrechen drohte, »Halt die Klappe, das gehört sich nicht.«
    Der Mann, der sie begleitete, war mit den Gedanken anderswo. Es schien mir, als würde die Lange Rahim in die Augen schauen und ihm zublinzeln. Rahim wandte sich, während er dastand, halb um, und plötzlich kam es mir so vor, als würde ich den neckischen Blick und das halb verschluckte Lächeln, von dem ich dachte, daß es mir vorbehalten sei, auf seinen Lippen sehen. Es dauerte vermutlich nicht mehr als ein paar Augenblicke. Ich stand da und betrachtete ihn, und er verfolgte die Frauen mit Blicken. Er drehte sich um zu mir und fragte, »Wieviel soll ich kaufen?«
    »Gar nichts.«
    Erstaunt sah er mich an und sagte, »Was heißt das? Du warst doch hungrig!«
    Ich ging vor ihm los und sagte erzürnt, »Jetzt bin ich es nicht mehr. Ruf eine Kutsche, ich will nach Hause.«
    »Mahbub, weshalb tust du das?«
    »Was soll ich tun? Ich bin müde. Ich will nach Hause zurück.« Und als hätte ich gerade erst bemerkt, daß er einen Anzug und Lederschuhetrug, sagte ich, »Heute hast du dich richtig in Schale geworfen! Die Knöpfe zugeknöpft und alles ganz manierlich. Lederschuhe!«
    »Als würdest du das erst jetzt sehen. Du hast es selbst so gewollt. Weshalb redest du dich heraus?«
    Wütend wandte ich den Kopf ab und wartete auf die Droschke, die in der Ferne sichtbar geworden war. Er trat einen Schritt vor, um die Droschke zu rufen. Unwillkürlich hob ich die Hand und schob den Gesichtsschleier hoch. Er wollte mir beim Einsteigen helfen. Ich zog meine Hand zurück und setzte mich in die Droschke. Mir war ganz heiß geworden. Vom Scheitel bis zur Sohle brannte ich vor Eifersucht und der Kränkung, die er mir vermeintlich zugefügt hatte. Ein junger Rumtreiber ging an der Droschke vorbei, und sein schamloser Blick fiel auf mein Gesicht. Er stieß einen Pfiff aus und entfernte sich. Rahim, der eingestiegen war, bemerkte erst in dem Augenblick, daß ich den Gesichtsschleier hochgeschlagen hatte. Er nagte an seiner Lippe. Seine Halsader trat hervor.
    »Weshalb hast du den Gesichtsschleier hochgeschlagen? Willst du mich gegen die Leute aufbringen? Willst du, daß ich ihr Blut vergieße?«
    »Nein, ich wollte, daß du weißt, daß auch ich den Gesichtsschleier hochschlagen kann.«
    In galligem Ton erwiderte er, »Das hab ich doch von Anfang an gewußt.«
    Damit hatte er ins Schwarze getroffen. Mitten in mein Herz. Doch ich lehnte mich seelenruhig an die abgenutzte lederne Rücklehne und sagte, »Gut, sehr gut, daß du es wußtest, als du mich geheiratet hast.« Und als ich sah, daß seine Schlagader vor Zorn geschwollen war, empfand ich Schadenfreude.
    Bis zum Haus starrte er mich an, und ich betrachtete mit hochgeschlagenem Gesichtsschleier die Straßen und Wege. Ganz ungerührt. Doch in mir kochte es. Wir erreichten das Haus. Er öffnete die Tür und betrat nach mir den Hof. Mitten im Hof nahm ich den Tchador ab. Stieg die Treppen hoch und betrat das Zimmer. Wütend lief er mir nach. Sein Fuß verfing sich im Sieb, er schleuderte es mit einem Fußtritt in die Ecke, »Zum Teufel mit allen Sieben.«
    Ich mußte lachen. Er kam hoch.

Weitere Kostenlose Bücher