Der Morgen der Trunkenheit
»Räum das weg. Wenn dich irgend etwas stört, geh zurück nach Hause.«
»Ach was, mein Kind, ich bin gekommen, deiner Frau zu helfen. Wohin sollte ich denn gehen?«
»Was ich gesagt habe: Wenn du solche Mätzchen veranstalten willst, braucht meine Frau keine Hilfe.«
Ich empfand Schadenfreude. Der Ärger hatte sich aufgelöst.
Aus meinem Elternhaus schickte man eine Ausstattung fürs Neugeborene als Geschenk. Angefangen von Wachstuch, Windeln und der Schnur zum Abnabeln bis hin zu Winter- und Sommerbekleidung und handgestrickten Hemdchen und Jäckchen. Meine Mutter hatte großen Geschmack bewiesen und das Fliegennetz für das Neugeborene mit kleinen Schmetterlingen bestickt. Seine Mutter sah es von fern und beachtete es nicht. Sie kam nicht einmal näher. Ich wollte so schnell wie möglich entbinden, damit sie nach Hause zurückkehrte.
Die Hebamme war bei mir. Sie verlangte abgekochtes Wasser und saubere Tücher. Sie sagte mir, was ich zu tun hatte. Die Schmerzen schienen meinen Körper von innen zu sprengen. Jedesmal, wenn eine Wehe kam, sagte ich mir, sie würde nicht mehr aufhören. Daß ich es diesmal nicht aushalten könnte. Daß mir der Atem wegbleiben würde. Ich war in ein Meer gefallen, und die Wellen des Schmerzes hatten mich umzingelt. Eine Welle nach der anderen. Ich rang, um Atem zu holen, um einen Atemzug ohne Schmerzen. Ich wollte die Uhr zurückdrehen, zum Beispiel auf gestern Nacht. Oder daß die Zeit vorwärts fliegen würde, zur kommenden Nacht. Ich sehnte mich nach einem Augenblick, in dem ich zur Ruhe kommen würde. Rahim war bei mir. Ängstlich und treuherzig sah er mich an. Sein Haar fiel ihm wieder ins Gesicht. Seine Halsmuskeln, seine Halsader, die vor Aufregung und Sorge pochte. Seine rauhe Hand, die meine Hand hielt. Ich sah ihn und sah ihn nicht. In einem Nebel aus Schmerzen erkannte ich seine Stimme, seine Liebkosungen und Worte. Wenn ich zur Ruhe kommen und auf Linderung hoffen konnte, so nur durch ihn. Die Anwesenheit dessen, der mit mir litt, als er fragte, »Mahbube, hast du große Schmerzen?«
Aus Schmerz und Verwunderung und wegen des anhaltenden Drucks kamen die Atemzüge ruckartig. Ich preßte hervor, »Nein… nein, die Geburt ist leicht.«
Ich atmete, als sei ich gerannt und schwitzte, und mein Ehemann wischte mir den Schweiß von der Stirn. Wo war meine Mutter? Weshalb kam sie nicht? Wann würden sie an mein Bett kommen? Wann würden sie sich an mich erinnern? Falls ich heute nacht sterben sollte, würden wir uns erst am Jüngsten Tag wiedersehen. Wieder kamen die Wehen.
Meine Schwiegermutter kam und ging. Die Hebamme verließ für einen Augenblick das Zimmer.
»Rahim Djan, komm näher.«
Er senkte seinen Kopf, »Sag, was möchtest du?«
»Gib der Hebamme ein gutes Trinkgeld.«
»Mach dir keine Sorgen, ich werde sie zufriedenstellen.«
Er küßte meine Stirn. Seine Hand zitterte in meiner. Meine Schwiegermutter trat ein und sah diese Szene. Mit einem falschen Lachen sagte sie, »Mahbube Chanum, läßt du auch jetzt nicht lokker? Laß erst einmal die Wehen des ersten zu Ende gehen und sorge dich dann um das zweite! Du bist wirklich ganz schön forsch!«
Ich sah sie scharf an und dann Rahim. Plötzlich füllten sich meine Augen wie zwei Schalen mit Wasser. Rahim hob den Kopf und sagte zu seiner Mutter, »Mutter, hältst du endlich den Mund? Bist du gekommen, um ihr zu helfen oder um sie zu quälen?«
Unter Schmerzen sah ich seine Mutter erschrocken an. Bei Rahims Art und Weise zu sprechen war ich zusammengezuckt. Ich war sicher, daß seine Mutter beleidigt sein und fortgehen würde. Wehe, wenn es sie gekränkt hätte. Wehe, wenn sie noch feindseliger werden würde. Wehe, wenn sie mich nicht mehr ausstehen könnte. Was die erste Vermutung betraf, so hatte ich mich geirrt. Seine Mutter lachte unverfroren und sagte, »Jawohl, ich halt die Klappe, damit deine Henne ihr goldenes Ei legen kann.«
Auch in Bezug auf die zweite Vermutung lag ich nicht ganz richtig. Meine Schwiegermutter verhielt sich nicht erst jetzt feindselig, sie hatte mich von Anfang an nicht ausstehen können. Ich fragte, »Rahim, was heißt das? Was bedeutet goldenes Ei?«
Seine Mutter sagte, während sie lachend das Zimmer verließ, »Das heißt, laß dein Kind zur Welt kommen und deinem Agha Djan ans Herz wachsen, dann wirst du sehen, wie er sechs Dong eines Dorfs auf deinen Namen überschreibt! Und wenn es nicht sechs Dong sind, drei werden bestimmt drin sein.«
Rahim sagte nichts, und ich
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