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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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zweite Feuerleiter hinauf.
    Sie war ganz schön steil, und bis zum zweiten Stock hinauf war es ziemlich weit. Die Leiter stand, wie auf einem Schiff, fast senkrecht und hatte eine runde Eisenstange als Geländer. Ich holte tief Atem und stieg so leise wie möglich nach oben. Oben angelangt, war ich froh, nicht auf demselben Weg wieder nach unten klettern zu müssen. Wenn alles klappte, würde ich meinen Rückweg durch das Büro antreten können, und zwar auf der regulären Treppe. Wenn Charlie mich vom Hinterausgang rief, würde ich bereits an Ort und Stelle sein, anstatt in irgendeinem Kellerloch herumzuliegen. Und falls ich hören sollte, wie eine Tür eingeschlagen wurde, konnte ich die Tür zur Feuerleiter eintreten. Dann war vielleicht sogar ich der erste in diesem Büro. Möglicherweise würde ich dann auch noch etwas anstellen, was mich neuerlich ins Gefängnis bringen konnte, was mir jedoch im Augenblick völlig egal war, da meine zwanzig Jahre bei der Polizei wirklich absolut sinnlos gewesen wären, wenn Scalotta und Fishman meine Uniform trügen, während ich Gefängnisklamotten anziehen und in der Polizistenzelle im Bezirksgefängnis vergammeln würde.
    Und dann hörte ich ein Krachen, und im selben Augenblick wußte ich auch schon, daß unser Trick nicht hingehauen hatte, weil dieses Geräusch von sehr weit unten kam. Sie hatten also schon die erste Tür einschlagen müssen, um nun in den zweiten Stock heraufzulaufen und die andere Tür einzutreten. Im nächsten Augenblick warf ich mich auch schon gegen die Feuertür, ohne zu wissen, daß sie durch einen schweren Querbalken aus Stahl zusätzlich verstärkt war. Sie ging nicht auf, und ich konnte in diesem Moment ja auch nicht wissen, wie stabil das Ding eigentlich war, da ich es für eine ganz gewöhnliche Tür hielt. Als ich mich neuerlich dagegenwarf, hätte ich fast aufgeheult, weil ich nicht einmal mehr so eine verdammte Tür aufbekam. Ich war einfach zu allem zu blöd.
    Ich warf mich immer wieder dagegen, und schließlich trat ich einfach das Fenster links davon ein, wobei ich mir das Bein aufriß. Ich brach das restliche Glas mit den Händen heraus und verlor dabei meine Mütze. Außerdem schnitt ich mir die Stirn auf, bis ich schließlich völlig außer mir und laut brüllend durch das Büro stürmte, wo eine junge Frau und ein kleiner, kahlköpfiger Mann zitternd in der Tür standen. Sie hatten eine Reihe von Schachteln im Arm und starrten mich fassungslos an. Dann begann die Frau hysterisch zu kreischen, während der Mann durch die Tür flitzte und auf die Feuertür zurannte, ich dicht hinter ihm her. Er schob den Riegel zurück, stieß die Tür auf und blieb, einen großen Karton mit Karteikarten und Zetteln in den Händen, auf dem Absatz stehen. Plötzlich sah er, wie steil die Feuerleiter nach unten führte. Den schweren Karton unter den Arm geklemmt, versuchte er hinunterzuklettern, aber ich packte ihn mit meinen blutigen Händen. Er schrie mich aufgebracht an, als uns zwei aufgeschreckte Tauben ins Gesicht flogen.
    »Lassen Sie mich los!« brüllte er mich an, und die leicht grünlichen Säcke unter seinen Augen traten noch weiter hervor. »Lassen Sie mich los, Sie Idiot!«
    Ich weiß nicht, ob ich ihn wirklich nur losließ oder ihm einen leichten Schubs gab. Ich weiß es wirklich nicht, aber es wäre letztlich auch völlig egal gewesen, da ich genau wußte, was passieren würde, wenn ich plötzlich genau das tat, was er wollte.
    Daher bin ich mir also nicht sicher, ob ich ihn ein bißchen anstieß oder einfach nur losließ. Aber das Ergebnis wäre, wie gesagt, sowieso dasselbe gewesen. Außerdem war es in diesem Augenblick meines Lebens das einzige, was noch ein bißchen Sinn hatte, das einzige, was ich noch tun konnte, um dem Ganzen noch einen Sinn zu verleihen. Wenn ich nur tat, was er von mir wollte, würde er ganz sicher nie meine Uniform tragen. Mein Herz flatterte wie die Flügel der Tauben, dann ließ ich einfach nur los, und meine blutenden Hände sanken seitlich an mir hinab.
    Er zuckte zurück, und das Gewicht der Schachtel mit den Karteikarten ließ ihn kopfüber die Feuerleiter hinunterstürzen. Das Geräusch, das dabei entstand, erinnerte mich an einen Anker, der zu Wasser gelassen wird. Er schrie entsetzt auf, und der Karton öffnete sich, so daß sein Inhalt herausfiel und Tausende von Karteikarten und Zetteln durch die Luft wirbelten. Es klang tatsächlich wie eine Ankerkette, als er nach unten polterte. Als er schließlich

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