Der müde Bulle
auf der Main Street Streife gegangen war. Eines Nachts, gegen zwei Uhr, sah ich einen von diesen Typen, die mit Vorliebe besoffene Freier ausnehmen, mit einem Mann die Hintertreppe des Marlowe Hotels hinaufgehen. Das ist eine billige Absteige in der Main Street, die vor allem von Nutten und Zuhältern frequentiert wird. Ich war gerade allein, weil mein Partner, ein Trottel von einem Polizisten namens Syd Bacon, in irgendeinem Hotelzimmer auf der Lauer lag, um einer Gelegenheitsnutte, in die er sich verschossen hatte, wieder einmal gehörig die Leviten zu lesen. Er hätte sich eigentlich vor halb zwei Uhr früh wieder mit mir treffen sollen, tauchte aber die ganze Nacht nicht mehr auf.
Ich rannte zum Vordereingang des Hotels und die Haupttreppe hinauf, um mich hinter dem verlassenen Schreibtisch an der Rezeption zu verstecken. Und als dieser Typ mit seinem Opfer dann den Gang herunterkam, sprang ich in den Schrank hinter der Theke – gerade noch rechtzeitig, da die zwei Partner dieses Ganoven weiter unten am Gang aus ihrem Zimmer kamen.
Sie flüsterten miteinander, worauf einer nach draußen ging, um die Straße zu überwachen. Der zweite trat hinter die Rezeption, knipste eine Lampe an und tat so, als würde er die Zeitung lesen, die er bei sich hatte. Natürlich waren die beiden Kerle Schwarze. Diesen Trick, einen Freier um sein Bargeld zu erleichtern, wandten hauptsächlich Schwarze an. In letzter Zeit hatte ich jedoch auch mehrfach Weiße bei diesem Geschäft gesehen.
»Guten Abend, Chef«, hörte ich den Kerl sagen, der den Freier begleitete. Ich hatte die Schranktür einen Spaltbreit offen gelassen und konnte erkennen, daß der Freier ein gutgekleideter junger Mann war, der sturzbesoffen schwankte und sich immer wieder das dichte schwarze Haar aus den Augen strich. Seine Krawatte hatte er offensichtlich irgendwo verloren, und sein weißes Hemd stand über der Brust offen und war mit Flecken übersät.
»Was gibt's?« erwiderte der Mann an der Rezeption und legte seine Zeitung beiseite.
»Ist Alice heute abend da?« fragte der Kerl, der als Vermittler agierte. Er war der größere von beiden, ein auffallend dunkelhäutiger junger Bursche.
»Ja, die spuckt wieder mal Gift und Galle«, meinte der andere, der ebenfalls noch ziemlich jung war. »Hat heute abend noch keinen einzigen Mann gehabt, und du weißt ja, wie geil dieses Luder ist.«
Der Vermittler nickte. »Das ist sie allerdings.«
»Dann macht doch schon!« drängte der Freier, und nun fiel mir zum erstenmal sein orientalischer Akzent auf.
»Einen Augenblick noch, Mann«, erwiderte sein Begleiter. »Diese Schnalle ist wirklich irre heiß, aber sie hat auch lange Finger. Laß deine Brieftasche lieber hier an der Rezeption.«
»Ja, ich kann sie im Safe aufbewahren«, schlug der gelangweilt wirkende Kerl hinter der Rezeption vor. »Man kann ja nie wissen, ob die Alte Ihnen nicht einredet, die ganze Nacht mit ihr zu verbringen. Und dann raubt dieses Miststück Sie aus, sobald Sie eingeschlafen sind.«
»Ganz recht«, pflichtete ihm der Vermittler bei.
Mit einem Achselzucken zog der Freier seine Brieftasche hervor und legte sie auf die Theke.
»Lassen Sie Ihre Uhr und Ihren Ring lieber auch da«, warnte ihn der Typ an der Rezeption.
»Ja, danke.« Der Freier kam auch dieser Aufforderung nach, worauf der Empfangschef einen braunen Umschlag unter der Theke hervorzog, der für die Wertsachen gedacht war.
»Könnte ich meine fünf Dollar jetzt gleich haben?« fragte der erste Typ. »Weitere fünf sind für Alice – und dann noch drei für das Zimmer.«
»Okay«, antwortete der Freier und blätterte nicht ohne Mühe die dreizehn Dollar auf den Tisch.
»Und jetzt gehen Sie in Zimmer Nummer zweisiebenunddreißig.« Der Mann hinter der Rezeption deutete auf das Zimmer, das er vorhin mit dem anderen Schwarzen verlassen hatte. »Ich werde Alice Bescheid sagen, und in etwa fünf Minuten wird sie dann zu Ihnen runterkommen. Und ich kann Ihnen sagen, machen Sie sich auf was gefaßt. Die wird Ihnen ganz schön einheizen.«
Der Freier lächelte nervös und stolperte den Gang hinunter, wo er die Zimmertür öffnete und verschwand.
Der Bursche an der Rezeption grinste. »Alles klar?«
»Los, hauen wir ab!« Der andere kicherte leise, während sein Begleiter die Lampe ausschaltete.
Ich trat aus dem Schrank, ohne daß sie mich sahen, und stand nun, meine Smith auf das rechte Auge des Empfangschefs gerichtet, an der Theke der Rezeption. »Brauchen Sie ein
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