Der müde Bulle
bitte Ihre Platitüden. Ich komme aus Watts.« Er verfiel in den dort üblichen Slang. »Ich habe schon von klein auf mit der Polente zu tun gehabt.« Die anderen lachten, und er fuhr fort, wieder akzentfrei: »Reden Sie lieber wie ein richtiger Polizist, und erzählen Sie uns, wie es wirklich ist ohne diesen ganzen Blödsinn. Verwenden Sie diesen Lieblingsausdruck der Polizei von Los Angeles – das ist doch ›Arschloch‹, oder nicht?« Er lächelte, und auch ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.
»Wo wohnst du denn in Watts?« erkundigte ich mich.
»Eins-Null-Drei, Grape«, erwiderte er.
»Na gut, dann kann ich ja mal Klartext reden. Ich bin bei der Polizei, weil ich es gut finde, Arschlöcher einzufangen und wenn möglich in den Knast zu schicken.«
»Das hört sich schon besser an«, meinte der junge Schwarze. »Allmählich reden Sie ja tatsächlich wie ein richtiger Bulle.«
Die anderen applaudierten und grinsten sich gegenseitig an.
»Ist das auf Dauer denn nicht ein bißchen deprimierend?« erkundigte sich Scott. »Ich meine, würden Sie nicht lieber ab und zu etwas für jemanden tun statt immer nur gegen jemanden?«
»Ich finde, daß ich jedesmal, wenn ich so einen schrägen Vogel hinter Gitter bringe, auch für jemanden etwas tue. Schließlich muß man davon ausgehen, daß jedes echte Arschloch, das ich wegen eines Bruchs oder Raubüberfalls verhafte, zuvor schon mindestens hundert andere Leute geschädigt hat. Ich bewahre demnach zumindest hundert weitere Opfer vor größeren Schäden und rette vielleicht sogar ein paar Leuten das Leben, wenn ich so einen Kerl von der Straße hole. Und ich kann euch sagen, bei den meisten Opfern handelt es sich um Leute, die es sich keineswegs leisten können, Opfer zu sein. Die Leute, die sich das leisten können, sind bestens abgesichert und meistens auch versichert, so daß sie diesen Scheißkerlen nur selten ausgeliefert sind. Versteht ihr, was ich meine?«
Scotts kleine Freundin wollte etwas einwerfen, aber gleichzeitig legten drei junge Burschen los, und schließlich war es Scott, der die anderen übertönte. »Ich bin Jurastudent, und vielleicht werde ich Ihnen eines Tages vor Gericht als Verteidiger entgegentreten. Haben Sie eigentlich wirklich ein gutes Gefühl dabei, wenn Sie einen Mann für zehn Jahre ins Gefängnis bringen?«
»Hör mal, Scott«, entgegnete ich, »erstens stünden heute selbst für Eichmann die Chancen fünfzig zu fünfzig, daß er unter zehn Jahren davonkäme. Um so viel aufgebrummt zu kriegen, mußt du schon einiges ausfressen. Man muß sich geradezu anstrengen, um noch in ein Staatsgefängnis zu kommen. Und ich sage dir, einigen von diesen Kerlen, die ich einloche, würde ich nicht zehn Jahre verpassen, wenn ich könnte, sondern eine Lobotomie, verdammt noch mal!«
Ich kam langsam in Fahrt und warf meine Zigarre zu Boden. Offensichtlich fingen die jungen Demonstranten langsam an, mich ernst zu nehmen. Für eine Weile versuchte ich sogar noch, meinen Bauch einzuziehen, gab es aber schließlich auf, weil es doch etwas zu unbequem war.
»Vor ein paar Jahren stand in irgendeiner Zeitung mal ein Riesenartikel, in dem die Arbeit der Polizei gewürdigt wurde«, fuhr ich fort. »Diese Männer sind keine Bullen, hieß es dort, und dabei wurde ein Polizist vorgestellt, der schon mehrmals als Hebamme fungiert hatte. Einer hatte bei einer Überschwemmung mehreren Menschen das Leben gerettet, und ein anderer war so was wie ein Pfadfinderführer. Also, ich habe auch schon zwei Babys geholfen, das Licht der Welt zu erblicken. Aber wir werden natürlich nicht für unsere Hebammendienste bezahlt, auch nicht dafür, daß wir als Lebensretter oder Sozialarbeiter tätig sind. Es gibt genug andere Leute, die diese Jobs erledigen. Soll doch mal jemand die Leistung eines Polizisten würdigen, der zehn Jahre lang monatlich dreißig Gauner geschnappt und ein paar hundert Kerle nach San Quentin geschickt hat! Für so jemanden hat doch keiner ein gutes Wort übrig. Nicht einmal sein Sergeant wird das anerkennen. Der rückt ihm höchstens auf den Pelz, weil er nicht jeden Tag mindestens einen Strafzettel ausschreibt, wo doch die verdammte Stadtverwaltung das Geld so dringend braucht und in den Gefängnissen sowieso kein Platz ist.«
Ich hätte inzwischen längst etwas merken sollen. Ich hätte merken sollen, daß der Typ mit dem Stirnband und seine Alte sich von mir fernhielten. Das gleiche galt auch für die beiden Schwarzen in den Plastikjacken.
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