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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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Inzwischen standen nämlich alle, die mir besonders aufgefallen waren, am anderen Ende des Ovals. Die Demonstranten wurden langsam müde, die Sprechchöre immer leiser und sanfter. Und ich hätte auch merken sollen, daß Scott, der andere Blonde, der junge Schwarze und die niedliche Kleine in Scotts Arm, die eine große, schwer aussehende Wildledertasche über die Schulter geworfen hatte, näher bei mir standen als die anderen.
    Aber ich merkte nichts, da ich für einen der wenigen Augenblicke in meinem Leben aus meiner Rolle als Polizist geschlüpft war. Ich war ein riesiger, blau gekleideter, komischer Esel. Und dabei dachte ich, daß ich dieses junge Gemüse schon halb auf meiner Seite hätte – weil ich etwas tat, was ich noch nie zuvor in meinem Leben getan hatte. Ich stand auf einer umgestürzten Holzkiste und predigte den Massen. Ich stand nicht auf der Bühne, sondern auf einem behelfsmäßigen Podest. Wäre es eine Bühne gewesen, hätte ich keinerlei Schwierigkeiten gehabt. Ich kann jederzeit die Rolle spielen, die man von mir erwartet, und halte nebenbei die Augen offen, ohne mich ganz davontragen zu lassen. Aber diese Rolle des Predigers war etwas anderes. Ich hielt eine Rede nach der anderen über die Dinge, die mir etwas bedeuteten, und hatte nur noch Augen für das warme Strahlen in den Augen meiner Zuhörerschaft. Ich begeisterte mich so am Klang meiner eigenen Stimme, daß ich nichts mehr von dem hörte und sah, was sonst noch um mich herum vorging.
    »Vielleicht sollte die Polizei nur Leute mit einem College-Abschluß einstellen«, meinte Scott und trat einen Schritt näher.
    »Klar, sie wollen, daß wir bei der Verbrechensbekämpfung nach diesen ›wissenschaftlichen Methoden‹ vorgehen, was immer das heißen mag. Und was tun wir einfachen Polizisten? Wir nicken schön artig mit unseren Köpfen und nehmen staatliche Gelder für die Einrichtung von Computeranlagen entgegen und schicken unsere jungen Leute aufs College. Und worauf läuft das alles hinaus? Auf irgend so einen Schreibtischhengst mit markigem Blick und ein paar heißen Sprüchen, mit denen er dann den Leuten einheizt, die ernsthaft arbeiten.«
    »Glauben Sie nicht, daß Polizisten irgendwann einmal überflüssig werden?« fragte mich Scotts Freundin mit einem so treuherzigen Blick, daß ich unwillkürlich grinsen mußte.
    »Ich fürchte, daß das wohl immer ein Wunschtraum bleiben wird. Denn so lange es Menschen gibt, wird es auch immer eine Menge schlechte und habgierige und schwache geben.«
    »Wie können Sie so über die Menschen denken und ihnen zugleich helfen wollen, indem Sie, wie Sie selbst gesagt haben, jemanden ins Gefängnis bringen?« hielt sie mir entgegen. Auf ihren Lippen lag ein trauriges Lächeln, als hätte sie Mitleid mit mir.
    »Meine Güte, Mädchen, die Menschheit ist zwar nicht besonders liebenswert, aber sie ist alles, was wir haben.« Ich dachte, das müßte eigentlich jedem klar sein, aber dann fragte ich mich doch, ob sie nicht noch etwas zu jung waren. »Übrigens, studieren die meisten von euch tatsächlich Sozialwissenschaften und Englisch?«
    »Wie kommen Sie denn darauf?« wollte der junge Schwarze wissen, der die Figur eines Footballstars hatte.
    »In den Statistiken steht das immer, und ich interessiere mich für so was.«
    »Ich studiere Maschinenbau«, meldete sich der blonde Junge, der hinter Scott stand, und in diesem Augenblick wurde mir zum erstenmal bewußt, wie nahe diese kleine Schar um mich gedrängt stand. Mir fiel auf, wie höflich sie sich mir gegenüber benahmen. Sie waren alle politisch geschult, gingen aufs College und hatten zweifellos eine Menge Statistiken und Slogans und Argumente im Kopf, die sie gegen mich hätten vorbringen können. Aber ich hatte sie alle auf meiner Seite. Sie nickten nur und lächelten und ließen mich quatschen. Ich spürte, daß da irgendwas nicht stimmte, aber ich hörte mich einfach zu gern reden, und so fragte der fette, blaue Maharischi wohlwollend: »Soll ich euch noch etwas über die Polizeiarbeit erzählen?«
    »Waren Sie eigentlich in Century City dabei?« fragte die kleine Blonde.
    »Ja, ich war da, und es war keineswegs so, wie es in diesen Untergrundzeitschriften und in den Fernsehberichten dargestellt wurde.«
    »Ach nein?« warf Scott ein. »Ich war aber auch dort.«
    »Nun ja, ich will damit nicht abstreiten, daß einige Leute verletzt wurden.« Ich suchte nach irgendwelchen Anzeichen von Feindseligkeit in den jungen Gesichtern. »Aber

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