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Der müde Bulle

Der müde Bulle

Titel: Der müde Bulle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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Treppe hoch und in das Zimmer des Angeklagten.«
    Der Staatsanwalt lächelte. »Die Begründung klingt durchaus plausibel. Und eine Menge Glück haben Sie dabei auch gehabt.«
    Ich nickte ernsthaft. »Klar, eine ganze Menge Glück sogar. Die Arbeit der Polizei besteht praktisch zur Hälfte aus nichts anderem als einer gehörigen Portion Glück.«
    »Das dürfte also keinerlei Probleme geben. Das Rauschgift war deutlich zu sehen. Die Waffe war deutlich zu sehen. Und Sie haben sich völlig legal Zutritt verschafft, da Sie einen Haftbefehl vollstrecken wollten. Sie haben auf Ihre Anwesenheit hingewiesen und darum gebeten, eingelassen zu werden. Mit Paragraph acht-vierundvierzig des Strafgesetzbuchs dürften wir demnach also nicht in Konflikt kommen.«
    »Genau.«
    »Sie sind also erst in das Zimmer eingedrungen, als Sie den Eindruck hatten, der Mann, auf den Ihr Haftbefehl ausgestellt war, hätte zu fliehen versucht?«
    »Ich hatte den Haftbefehl nicht dabei«, erinnerte ich ihn. »Ich wußte nur, daß ein solcher existierte.«
    »Das ist in diesem Fall egal. Der Angeklagte wurde doch später gegen eine Kaution auf freien Fuß gesetzt und dann wieder verhaftet?«
    »Richtig.«
    »Dann ist an der Sache wohl nichts zu rütteln.«
    »Allerdings nicht.«
    Nachdem der Verteidiger seine Unterhaltung mit Landry beendet hatte, ging er zu meiner Überraschung im Gerichtssaal nach hinten, wo er meinen Bericht las und mit Homer Downey sprach, einem nervösen kleinen Mann, der schon mehrere Jahre im Hotel Orchid angestellt war. Ich hatte schon bei mindestens einem halben Dutzend ähnlicher Gelegenheiten mit ihm zu tun gehabt, wenn ich mir von ihm das Gästebuch zeigen oder einen Zweitschlüssel geben ließ.
    Das dauerte nun schon eine ganze Weile, bis ich mich schließlich zum Staatsanwalt hinüberbeugte, der neben mir saß. »Was soll das eigentlich? Ich dachte, Homer tritt für das Volk in den Zeugenstand. Dabei grinst er den Verteidiger an, als wäre er von ihm vorgeladen worden.«
    »Machen Sie sich deswegen keine Sorgen«, meinte der Staatsanwalt. »Lassen Sie ihm ruhig seinen Spaß. Der Verteidiger ist erst seit zwei Monaten im Geschäft und natürlich dementsprechend scharf.«
    »Wie lange sind Sie denn schon dabei?«
    »Vier Monate«, erwiderte der Staatsanwalt und strich sich über den Schnurrbart, worauf wir beide lachen mußten.
    Der Verteidiger kam an unseren Tisch zurück und setzte sich neben Landry, der eine enge schokoladenfarbene Hose und ein braunes Seidenhemd mit offenem, modischem Kragen trug. Und dann kam eine alte Schachtel in den Gerichtssaal. Ihr Haar war wie seines gefärbt. Sie trug ein bauschiges Oberteil und einen für ihr Alter lächerlich kurzen Rock. Ich wäre jede Wette eingegangen, daß sie eine von seinen Freundinnen war. Vielleicht hatte sie sogar die Kaution gestellt, die er durch seine Flucht aufs Spiel gesetzt hatte. Aber sie würde ihm das alles verzeihen.
    Als ich das Lächeln sah, das sein Anblick auf ihren angeschmierten Lippen hervorzauberte, stand es für mich endgültig fest, daß sie seine Freundin war. Landry sah gerade vor sich hin, und der Gerichtsdiener wirkte keineswegs so ruhig und gelassen wie sonst, wenn sich ein inhaftierter Straftäter im Raum befand. Man konnte ihm förmlich ansehen, daß er von Landry nicht gerade die beste Meinung hatte.
    Landry strich sich zweimal das Haar zurück und rührte sich dann für den Rest der Verhandlung nicht mehr.
    Richterin Redford nahm wieder ihren Platz ein, und es wurde still im Saal.
    »Ist Timothy G. Landry Ihr richtiger Name?« fragte sie den Angeklagten, der neben seinem Verteidiger stand.
    »Ja, Euer Ehren.«
    Darauf ging sie dazu über, den Angeklagten mit monotoner Stimme über seine Rechte aufzuklären, wobei ihm diese Litanei sicher schon von vielen hundert Polizisten und einem paar Dutzend anderer Richter vorgebetet worden war. Dann erklärte sie ihm die Prozeßordnung, obwohl er sie ohne weiteres ihr hätte erläutern können. Ich blickte unruhig auf die Uhr. Schließlich steckte sie sich eine widerspenstige graue Haarsträhne hinter den Bügel ihrer schwarzen Hornbrille und sagte: »Fangen wir an.«
    Martha Redford war eine Richterin, die ich durchaus zu schätzen wußte. Ich konnte mich an einen Fall erinnern, wo sie mir nach der Festnahme von drei professionellen Autodieben im Gerichtssaal ein Lob ausgesprochen hatte. Ich hatte diese Burschen angehalten, als sie in einem Buick auf dem North Broadway durch Chinatown fuhren,

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