Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Müllmann

Der Müllmann

Titel: Der Müllmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Wolkenwand
Vom Netzwerk:
auch.
    Unmöglich, dachte ich, als ich weiterfuhr.
    Sie ist eine Frau. Die können das.
    Okay. Das Argument war schwer zu widerlegen.

    Zwei
Stunden später hatte ich Lucios Brieftasche auseinandergenommen und alles
gesichtet und aufgeschrieben. Es wurde eine ziemlich lange Liste von Nummern
und Namen, die ich dann Brockhaus zuschickte, vielleicht konnte er etwas damit
anfangen. Ich packte wieder alles zusammen, gähnte und schaute auf die Uhr, es
war schon deutlich nach eins. Ana Lena war noch immer nicht zurück. Sie hätte
wenigstens sagen können, wohin sie geht, auch wenn ich es mir denken konnte.
Vergiss den ganzen Scheiß, sagte ich mir, und geh ins Bett.
    Genau das
tat ich dann, aber richtig schlafen konnte ich erst, als ich von draußen Ana
Lenas Motorroller hörte, dann Stimmen und dann, etwas später, das Zuschlagen
der Eingangstür.

    Am nächsten Morgen traf ich Ana Lena in der Küche. Es war
erst sechs Uhr, und sie hielt sich an der Kaffeetasse fest. Es war leicht zu
sehen, dass sie nicht geschlafen hatte. Die Kaffeemaschine war noch an und
zischte, ich ging hin und stellte eine Tasse darunter. Ana Lena sah schweigend
zu, ihre Augen waren gerötet, und sie kaute lustlos an einem Toast herum.
    »Sag mal,
hast du gar nicht geschlafen?«, fragte ich sie. Ein Fehler. Ich hätte es besser
wissen müssen. Die Maschine zischte und gurgelte so laut, dass ich ihre Antwort
nicht verstand, nur den Blick konnte ich lesen. Besonders freundlich war er
nicht. Eher in die Richtung: Fall tot um und verwese woanders!
    »Wie bitte?«, fragte ich höflich, als die Kaffeemaschine mich ließ.
    »Das geht dich nichts an. Du bist nicht mein Vater!«
    »Ana Lena …«, begann ich und schüttete mir den letzten kläglichen
Rest Milch in den Kaffee … es war die letzte Packung, ich war sicher, dass es
gestern Abend noch zwei im Kühlschrank gegeben hatte. »Du kannst nicht
erwarten, in der Schule Leistung zu bringen, wenn du übernächtigt bist!
Nebenbei, was ist mit der Milch passiert?«
    »Ich habe sie getrunken«, teilte sie mir trotzig mit. »Was soll der
Leistungsscheiß? Ich bin nicht müde! Ich bin noch jung, weißt du?« Im Gegensatz
zu dir, sagte ihr Blick. »Und meine Noten sind gut genug!«
    Ja, das waren sie. Gut genug. Um die Drei herum. Vor zwei Jahren war
es für sie eine Katastrophe, wenn eine Zwei ihren Einser-Schnitt zerhauen hat.
Jetzt kam es mir vor, als hätte sie jedes Interesse an der Schule verloren und
tat nur noch, was sie tun musste.
    »Deine Mutter …«, begann ich, und sie knallte die Tasse so fest auf
den Tisch, dass der Kaffee überschwappte und Captain Jack, ihr Kater, wie der
Blitz aus der Küche floh, wo er friedlich auf einem Küchenstuhl geschlafen
hatte.
    »Ja!«, schrie sie. »Meine Mutter war Superwoman, und ich bin
Scheiße, ich weiß!« Sie sprang auf und rannte aus der Küche und knallte die Tür
so fest hinter sich zu, dass die Gläser im Wandschrank klirrten.
    Gleich darauf dröhnte es wieder aus ihrem Zimmer.
    Sie wusste, dass ich das nicht hatte sagen wollen, aber … Ich
seufzte und begann die Küche aufzuräumen. Sie hatte noch eine Dreiviertelstunde
Zeit, bis sie zur Schule musste, aber immerhin ging sie überhaupt. Noch ein
Jahr bis zum Abitur. Dass sie es bestehen würde, daran hegte ich keine Zweifel,
nur wie, darüber machte ich mir Sorgen.
    Es entzog sich meiner Kenntnis, wie eine einzelne Person beim
Frühstück ein derartiges Chaos hinterlassen konnte. Sie hatte Milch
aufgeschäumt, die sie großflächig um die Kaffeemaschine herum verteilt hatte,
den halben Kühlschrank ausgeräumt und auf dem Küchentisch deponiert. Die
Wurstpackung fand ich unten auf dem Boden, die Wurst daneben, doch die
Krallenspuren am Plastik überführten Captain Jack als Täter.
    Die Tür ging wieder auf. Ana Lena stand im Türrahmen, Arme
verschränkt, Hüfte angelehnt, ein trotziger Gesichtsausdruck in ihren Augen.
Sie trug einen langen, seitlich geschlitzten Rock aus Lederimitat, eine
Korsage, die mit schwarzen Rosen bedruckt war, diese Pseudo-Kampfstiefel, die
sie bis zur Nase hochschnüren konnte und deren Sohlen deutlich höher waren als
meine Tasse. Über der Korsage trug sie eine weite schwarze Bluse mit Rüschen,
nur zur Hälfte zugeknöpft, die Korsage hob ihren Busen an und für meinen
Geschmack zeigte sie deutlich zu viel davon.
    Sag bloß nichts.
    Ich wusste es besser, als mich auf dieses Glatteis zu begeben. Sie
würde mir sowieso nur entgegenhalten, dass sie im Vergleich zu

Weitere Kostenlose Bücher